«Bergfahrt» von Ludwig Hohl ist sicher der Klassiker der Schweizer Alpinliteratur, er selber war ein wilder Kletterer und Einzelgänger – am Berg wie im Leben. Anna Stüssi, die an einer Biografie arbeitet, ist in ihrem Essay «Überschriebene Berge» den Spuren des Dichters am Berg gefolgt – wo er nicht immer die beste Figur machte.
„Von Mitternacht an sassen wir auf unserer Steinbank (3100-3200 m hoch) auf dem Seil, assen etwas, sprachen so viel wie möglich, schauten dem Mond zu, kämpften gegen den Schlaf, der gegen Morgen hin stärker wurde, trotz der Kälte, forderten uns gegenseitig immer auf’s Neue zum Klappern mit den Schuhsohlen auf. Nach 8 gerauchten Pfeifen, 5000 maligem Klappern u. 200 maligem Ziehen der Taschenuhr wurde es morgen.“
So beschreibt der Schweizer Schriftsteller Ludwig Hohl in „Meine Bergtouren“, Zweites Heft 1922-1928, ein Notbiwak in den Dauphiné-Alpen, das er mit seiner Lebensgefährtin Getrud (Trudi) Luder beim Abstieg vom Col de la Pilatte occidental anfangs Juli 1925 beziehen muss. Eigentlich wollten sie den stolzen Gipfel Les Bans (3669 m) besteigen, doch weil sie zu spät auf dem Pass oben eintreffen, entscheiden sie sich für den unbekannten Abstieg nach Süden. Dabei kommt es fast zur Katastrophe, weil Hohl erstens den Pickel fallen lässt und sich zweitens beim Abseilen in eine schier ausweglose Lage hineinmanövriert, aus der ihn T., wie er im Tourenbuch schreibt, mit einem präzisen Ratschlag rettet. Szenen am Berg, die verändert in die Erzählung „Bergfahrt“, das vielleicht bekannteste Werk von Hohl, Eingang gefunden haben.
Mit dem Alpinisten Hohl hat sich Emil Zopfi in „Dichter am Berg. Alpine Literatur aus der Schweiz“ schon eingehend auseinandergesetzt. Dem Thema fügt nun Anna Stüssi, die an einer Hohl-Biografie schreibt, eine neue Seillänge bei, und zwar in der jüngsten Ausgabe von „Quarto“, der Zeitschrift des Schweizerischen Literaturarchivs, die ganz diesem enfant terrible der Schweizer Literatur gewidmet ist. „Überschriebene Berge“ nennt Stüssi ihren Beitrag, der unter anderem mit drei Bergpostkarten illustriert ist, die Hohl auch auf der Fotoseite beschrieben hat – Wörter und Sätze, die man gerne einmal abgeschrieben läse. Genauso natürlich wie die beiden Bergtouren-Hefte, die hoffentlich auf eine Publikation warten. Immerhin: Im 1998 publizierten „Jugendtagebuch“ nehmen die Gipfel(touren) viel Raum ein.
Noch rasch eine Bemerkung zu Gipfel und Pässen. Ob die Meije (3982 m), die Königin des Dauphiné, Hohl wohl zu riskant war, wie Anns Stüssi schreibt, wage ich zu bezweifeln. Mit wilden Touren kannte er sich aus, und die Brêche de la Meije, die er überschritt, dürfte für ihn ein Kinderspiel gewesen sein. Und: Der Col de la Pilatte occidental existiert unter diesem Namen nicht mehr. Wahrscheinlich heisst er heute Col W des Bans (3404 m). Seine Südseite wurde erstmals am 19. Juli 1898 gemacht, im Abstieg. François Labande notiert im dritten Band seines „Guide du Haut-Dauphiné“ zu dieser Route: „Plus pratiqué en raison du retrait glaciaire.“ Die Gletscher schmelzen, der Büchberberg von und zu Hohl wächst.
Quarto 36/2013: Ludwig Hohl. Fr. 15.- Erhältlich in der Schweizerischen Nationalbibliothek in Bern und bei den Éditions Slatkine in Genf.
„Une ascension“ („Bergfahrt“) von Ludwig Hohl wurde in die Zusammenstellung der welschen Wochenzeitschrift L’Hebdo zur „Littérature suisse. 100 livres essentiels“ aufgenommen. Preis dieser Publikation hors-série: Fr. 10.-
Emil Zopfi: Dichter am Berg. Alpine Literatur aus der Schweiz. AS Verlag, Zürich 2009, Fr. 39.80.
Am Montag, 26. August, beginnt um 19.30 Uhr in der Buchhandlung im Volkshaus an der Stauffacherstrasse 60 in 8004 Zürich die Buchpremiere zum neuen Roman „Spitzeltango“ von Emil Zopfi. Laut seinen Angaben kein Bergbuch, obwohl der Üetliberg ein Rolle spielt.
Zunächst Reportage auf Deutschlandfunk, nach etwas Recherche „Bergfahrt“ von der Bücherei geholt, weiteres über Hohls Leben und Schreiben gelesen…total begeistert und gespannt auf mehr.
Was für eine großartige Erzählung!