Mattstock

Letzte Wanderung dieses Winters und erste des neuen Jahres. Auf den Ammler Hausberg – ein Kunstspaziergang der besonderen Art.

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Ein hässlicher Berg, dieser Mattstock. Warum also hinaufsteigen, steile tausend Meter? Wegen dem Training? Wegen der Sonne überm Nebel? Weil man all die schönen Tage zuvor mit geschwollenem Fuss durch die Wohnung humpelte und dann auch noch auf dem Sofa herumlag mit Magengrippe, geplagt vom Virus Nummer 7? Zum Sylvester gab’s nur Züriwasser, keinen Champagner, zum Neujahr Haferschleimsuppe. Aber nun ist kein Halten mehr. Hinauf, hinauf. Der Mattstock ruft. Drunten bei der Galerie sind frierende Gestalten in Daunenjaken im Nebel herumgestanden, Klettern ist also heute keine Alternative. Auch der Fuss ist noch zu schonen, die Schmerzen die Altlast eines Sturzes eben dort unten und vor ziemlich genau 24 Jahren. Sprunggelenk gebrochen. Sowas prägt sich ein.
Und schon sind wir hoch oben am Berg, leichtfüssig trotz allem. Nur das mit der Sonne will nicht so recht, Schleierwolken filtern die Wärmestrahlung und ein scharfer Biswind tut das Seine. Wenigstens habe ich ausnahmsweise Handschuhe und Stirnband dabei. Jetzt kommen wir in den Bereich der Lawinenverbauungen, riesige Gatter aus rostigen Stahlträgern, zwischen denen sich der Weg durchschlängelt. «In Stahlgewittern» kommt einem in den Sinn, der Roman von Ernst Jünger aus dem Ersten Weltkrieg, und man fühlt sich fast wie vor Verdun oder am Hartmannsweilerkopf zwischen stählernen Verhauen, statt am friedlichen Mattstock.
Und eigentlich, so wandert der Gedanke beim Steigen. Ist der Berg mit diesem stählernen Schmuck eigentlich nicht wirklich hässlich. Sie schmiegen sich an den Hang, folgen seinen Strukturen und dienen schliesslich einem Zweck: Schutz des Sonnendorfes und seinem architektonischen Wildwuchs vor Lawinen. «Form follows function» lautete ja auch ein Grundsatz von gutem Design. Und wenn da unten eine Tafel verkünden würde, diese Stahlgebilde seien das Werk eines renommierten Künstlers, etwa Cristo oder Tinguely, dann würde die internationale Kunstwelt hierherpilgern. Im Heli wahrscheinlich. Schönheit ist eben relativ. Einen eigenartigen Kunstspaziergang mit bekannten Künstlerinnen und Künstlern gibt’s übriges in Amden weiter unten auch noch und bequemer erreichbar: www.atelier-amden.ch.
Mit diesen Gedanken finden wir den Mattstock schliesslich ganz schön, spektakulär jedenfalls, ganz besonders, und das findet auch der Herr, der uns mit Stirnband, Stöcken und gewichtigem Rucksack überholt. Wir kennen uns und wünschen uns «ä guäts Nüüs», er hat uns drüben überm See, wo wir einst ein stolzes Haus besassen, Sanitäres installiert und geflickt. Bei der Werkhütte macht er Halt, wir steigen weiter, bald beschwingt durch die Klänge des zusammenlegbaren Alphorns aus Carbon, das der sanitäre Klangkünstler aus dem Rucksack geholt hat. High-Tech und Heimatstil. Auch auf dem Gipfel, den wir nach ein paar Drahtseilzügen erreichen. Das obligate Kreuz, überragt vom Mast einer Wetterstation, ein Geländer gegen den Abgrund und ein Ruhebänklein. Aber ruhen mögen wir nicht, der Wind bläst uns eisig ins Gesicht. Also hinab, vorsichtig über eisige Stellen und später auf dem vor Trockenheit stiebenden Wanderweg. Wolken ziehen auf. An diesem Abend fällt der erste Schnee.

Ein Gedanke zu „Mattstock

  1. Lieber Emil
    Jetzt mach‘ aber, dass du wieder ganz gesund wirst! Spätestens morgen; dann heisst es anstossen auf ein neues Lebensjahr – hoffentlich mit Champagner, nicht mit Züriwasser.
    Alles Gute, mein Lieber!
    Herzlich,
    Annette

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