Ein kleiner Berg mit grossem Namen, der auch in der Literatur einen bescheidenen Platz gefunden hat. Wir zelebrieren den Beginn des Max-Frisch-Jahrs 2011 mit einer Skitour mit Blick hinüber zum Grossen Aubrig.
Die kleine Skitour führt uns ins Wägital, nicht auf den Grossen Aubrig, einen von Max Frischs Schlüsselbergen, sondern auf den Brüschstock gegenüber. Doch beim Blick auf den rundlichen Voralpengipfel gedenken wir der Szene, die Frisch in seinem Roman «Montauk» erzählt. Mit seinem alpinistischen, kulturellen und finanziellen Mentor Werner Coninx unternimmt er nach Jahren, während denen sie sich kaum mehr gesehen haben, eine Wanderung auf den Grossen Aubrig. Frisch hat eben eine schwere Krankheit hinter sich, fühlt sich aber gut in Form. Coninx bekundet Mühe. «Er blieb zurück. Zum Gipfel war es nicht mehr weit, aber W. wollte nicht mehr.» Allein setzt Frisch das kurze Stück auf den Grossen Aubrig fort, sitzt auf der grasigen Kuppe, blickt ins Land und auf sein Leben zurück, ein leiser Triumph dringt durch den Text, obwohl er ihn gleich im nächsten Satz wieder zurücknimmt: «Unser Verhältnis so zu sehen, ich weiss, wäre zu primitiv.»
Ihr Verhältnis war kompliziert und unausgeglichen. Coninx reich, kultiviert, der bessere Bergsteiger und Skifahrer, der Frisch gönnerhaft ein Paar Ski schenkt, nicht die teuersten, der ihn zum Bergsteigen und Skifahren ins Engadin mitnimmt und ihm sogar das Architekturstudium bezahlt. Von Frischs Literatur hält er wenig, lässt sich nicht herab, seine Texte zu lesen. Am Grossen Aubrig kommt es zu einer Art Showdown, inzwischen ist Frisch der arrivierte, bereits weltbekannte und weitgereiste Autor – und wer kennt schon Coninx, den Kunstsammler und Erben der Besitzerfamilie des Tages-Anzeigers.
2011 wird der hundertste Geburtstag Frischs gefeiert, der Suhrkamp-Verlag wird uns mit Frisch überschütten, erste Biografien sind bereits erschienen, weitere werden wohl folgen. Dass Frisch auch ein Bergsteiger war und ein inniges Verhältnis zu den Bergen pflegte, übergehen die Biografen so geflissentlich, wie sie die Episode vom Grossen Aubrig nicht der Rede wert halten. Wahrscheinlich schauten die Schreibtischgelehrten nichtmal auf einer Landkarte nach, wo sich der kleine Berg befindet. Seltsam eigentlich, spielen die Berge doch in vielen Werken eine Rolle: Tödi in Reportagen, Piz Palü im «Stiller», Piz Kesch im «Gantenbein», das Matterhorn im «Holozän», das Finsteraarhorn im «Homo Faber» und der Grosse Aubrig eben in «Montauk». Peter von Matt ist wohl die Ausnahme, er gab kürzlich Frischs Bergsteigererzählung «Antwort aus der Stille» heraus, über die viele gar die Nase rümpfen und die Frisch selber «ein schlechtes Buch» fand.
Auf unserer kleinen Skitour im Wägital erweisen wir unverhofft unserem Nationaldichter unsere Reverenz und freuen uns mit ihm, dass er damals seinem Meister den Meister zeigen konnte – drüben am Grossen Aubrig.
Emil – habe viel Wissenswertes über Max Frisch erfahren – danke! Wenn ich das nächste Mal den Grossen Aubrig besuche weiss ich mehr ….
Liebe Grüsse an Christa und dich
Nick