Hier geht es um Führer. Das Wort ist zwar im Deutschen etwas missverständlich, wie man weiss. Aber selbst im alpinen Umfeld gibt es die Führer aus Papier und jene aus Fleisch und Blut. Aus dem Tirol erzählt der bekannte Walter Klier, der sich unter anderem auch «Führerarbeiter» nennt – ein Wort, das im Duden noch fehlt. Führend unter den Jahrbüchern von Alpenvereinen ist sicher jenes des Deutschen, und auch da macht uns der Führer durch die Alpinliteratur wieder einmal gehörig neugierig.
„Was machen Sie denn beruflich?“
Die Frage ist nicht peinlich, weil der Erwerb unehrenhaft wäre, sondern weil die Antwort leicht zu Verwicklungen führt. Die Antwort lautet nämlich: „Ich mache Führer.“ (…)
„Sie führen? – Das ist aber ein schöner Beruf, immer in der frischen Luft, na ja, mit dem Ozon oder dem CO2 oder was es jetzt gerade wieder ist, aber trotzdem…“
„Ja, das heiβt nein: Ich schreibe Führer. Das sind diese kleinen Bücher, wo drinsteht, wie man auf die Berge hinauffindet und wieder hinunter. Und alles über Hütten und Wege und so weiter.“
Der Gesprächsteilnehmer ist etwas enttäuscht.
„Die gibt es doch schon längst?“
„Ja, aber von Zeit zu Zeit müssen Neuauflagen gemacht werden, und die besorge ich.“
„Was gibt es da zu tun? Die Berge bleiben doch immer gleich?“
Bleiben sie das wirklich, die Berge? Sie verlieren doch Fels und Firn – und gleichzeitig bekommen sie Eisen und Beton. Aber an Ort bleiben sie schon, das Steinschlaghorn erhebt sich immer noch zwischen Standhorn und Tschipparellenhorn. Das heisst, nicht mehr ganz: Die Karte nennt die Gipfel heute Steischlaghore und Tschipparällehore, und der Ochsen in der Nähe hat sein „n“ verloren. Wenn denn dereinst der letzte Stein runtergepoltert und das letzte Vieh abgezottelt ist, wird der Autor, welcher den Führer über die Niesenkette im Berner Oberland schreibt, vielleicht neue Namen suchen müssen. Es gibt also etwas zu tun. Solange die Berge stehen bleiben. Und rufen. Wen denn überhaupt? Alpinisten, Wanderer, Kletterer, Skifahrer, Klettersteiggeher, Biker? Oder bloss die Bücherbergsteiger?
Die auch. Und so nehmen sie „Meine steinige Heimat. Berggeschichten aus Tirol“ von Walter Klier aus Innsbruck in die Hand und lesen zum Beispiel das Kapitel „Normalweg zum Ochsenkopf. Aus dem Leben eines Führerarbeiters“. Klug geschrieben, witzig formuliert. Genauso wie „Im Reich des senkrechten Schotters. Ein Führer durch meine Kletterheimat“. Lauter Steinschlaghörner muss es dort geben. Diesen Eindruck erhält man wenigstens beim Lesen. Und erhielte ihn sicher auch beim Klettern… Klier, Führerautor, Schriftsteller und Maler, schildert seine Arbeit und Heimat. Eine Bergwelt, die uns Schweizern nicht so bekannt ist; bei uns heissen die Gipfel ja auch Ochsen und nicht Ochsenkopf. Wir dürfen aber manchmal schon über die Niesenkette hinaus blicken, hinüber nach Österreich. Gerade in den nächsten Tagen. Obwohl Schladming ja nicht im Tirol liegt, sondern in der Steiermark.
Nochmals eine andere Gebirgsregion unseres östlichen Nachbarlandes stellt das neue Alpenvereinsjahrbuh „Berg 2013“ vor, nämlich das als „Aschenbrödel“ bezeichnete Tennengebirge im Salzburger Land. Eine karstige Bergwelt mit entsprechenden Höhlen, so der grössten Eishöhle der Alpen, aber auch mit tollen Wänden, in die Albert Precht seine schier unzähligen Neurouten legt. Eine heisst „Und dennoch leben sie“. Dürfen wir fragen: wer? Die Berge oder die Menschen? Oder eben beide. Ihr Zusammenleben übrigens dokumentieren die Felsbilder im Tennengebirge – rätselhafte Gravuren und Zeugnisse einer längst vergangenen Kultur.
Wie immer lohnt sich die Lesetour mit dem Alpenvereinsjahrbuch. In diesem Jahr vor allem mit Robert Steiners Ausflug in die „Kultur und Geschichte des sowjetischen Bergsteigens“. Mit Christoph Willumeit zum Seastck-Klettern in Schottland oder mit Andi Dick in die Welt der Klettersteige. Altmeister Richard Goedeke zeichnet die Geschichte des Topos auf. Womit wir wieder bei den Führern aus Papier angelangt wären. Walter Kliers „Normalweg zum Ochsenkopf“ ist in „Berg 2013“ ebenfalls zu finden, illustriert vom Cartoonisten und Bergführer Georg Sojer.
Walter Klier: Meine steinige Heimat. Berggeschichten aus Tirol. Tyrolia Verlag, Innsbruck 2012, Fr. 25.90.
Alpenvereinsjahrbuch Berg 2013. Herausgegeben vom Deutschen Alpenverein, vom Oesterreichischen Alpenverein und vom Alpenverein Südtirol. Tyrolia Verlag, Innsbruck 2012, Fr. 27.50.