Auf Ski über die Zürcher Oberländer Höhen von Fischenthal nach Wald, meine (mini) Haute Route. Eine Lebenslinie.
Was für ein schöner Sonntag! Während wir im Fistel die Ski anschnallen, klingen die Glocken der Fischenthaler Kirche zum Gottesdienst. Dort drüben wurde ich getauft und konfirmiert, dort predigte Pfarrer Romano an der Trauerfeier für meine Mutter – sie war gerade etwa halb so alt wie ich heute. Erinnerungen begleiten mit im Aufstieg zum Hüttchopf durch eine zuckrige Schneelandschaft, die nicht mehr unberührt ist. Ski- und Schneeschuhspuren kreuzen sich, vereinigen sich gelegentlich zu einem tiefen Graben. Der Schnee ist frisch und locker. Mein alter Pfadifreund Walter, den wir im Zug getroffen haben, empfiehlt uns, vom Hüttchopf weiter zur Scheidegg zu ziehen. Oder dann über den Dürrspitz nach Gibswil hinunter. Der Schnee dort sei allerdings schon ziemlich verfahren. Freund Hansruedi lege wohl fast jeden Tag eine Spur. Genau so wie vor fünfzig und sechzig Jahren. Der Dürrspitz war unser Skiberg, meist waren wir allein, und noch niemandem kam es in den Sinn, auf den Hüttchopf zu fellen. Heute scheint das ein Klassiker zu sein. Unsere Tour wird schliesslich zur kleinen Haute Route: Hinüber zur Scheidegg, schöne Abfahrt zur Wolfsgrueb, dann langer Aufstieg zum Farner, die Piste hinab und weiter nach Wald. Eintauchen in die Welt meiner Jugend. Durch die Wälder am Schwarzenberg, die jetzt vom Neuschnee verzaubert sind, marschierte ich einst allein durch eine geisterhafte Nacht anlässlich einer Pfadiprüfung. Walter hätte mich begleiten sollen, aber er war krank oder musste zuhause in der Schreinerei helfen. Im Überzütt, wo wir uns beim Fellaufziehen wieder treffen, sage ich: «Nun sind wir doch noch gemeinsam auf einer Tour.» Es sind einfach fast sechzig Jahre vergangen. War ich zum ersten Mal mit Ski auf der Scheidegg? Irgendwann fällt mir ein, dass ich mit Hansruedi gelegentlich über die Scheidegg in die Ferchalp am Welschenberg zog, wo wir in einer eiskalten Alphütte übernachteten. Training fürs Gebirge! Eiskalt war auch jener Tag im Seegfrörniwinter 1963, als ich das letzte Mal über die steinharte Piste vom Farner ins Oberholz hinuntersauste. Fünfundzwanzig Mal, man musste ja die Tageskarte ausnützen. Anderntags rückten wir nach Bern in die RS ein.
Heute ist die Piste schön weich, angenehm zum Hinunterschwingen. Vom Choli, unserer Pfadihütte, schallt der Discosound einer fröhlichen Gesellschaft herüber. Geschichten, Geschichten. Nach fünf Stunden, 787 Höhenmetern Aufstieg und 15,4 Kilometern Distanz sind wir in Wald. Hier bin ich geboren, hier hat mich meine Mutter in einem kalten Winter im Spital zur Welt zur gebracht, hier ist sie gestorben. Und so schliesst sich an diesem prächtigen Wintersonntag eine Lebenslinie, meine Haute-Route der Erinnerung.