Eine Tafel am Fels erzählt von einem jungen Menschen, der hier starb. Wer kennt ihn noch, welches war sein Schicksal?


Eine Tafel, in Bronze gegossen, an den Fels geschraubt: Jens Kallinich, 19.3.1967–6.1.1987. Links zieht sich braungelb und rau ein Felspfeiler hoch, verliert sich in den Überhängen des Amphitheaters am Cucco. Coconut, alte Kultroute, während sechs Jahren immer wieder mal versucht, bis ich sie schaffte. Nun sind die rostigen Haken ersetzt, die neuen Ringe glänzen verlockend sicher. Nein, ich komm da nicht mehr hoch, lass die Finger davon. Rechts der Bronzetafel, fast unleserlich auf den Fels gepinselt: Anche gli Angeli mangiano Fagioli. Die Route, auf der Rolli Heer über dem ersten Haken ausglitt, am Boden aufschlug, schwer verletzt liegen blieb. Jens Kallinich überlebte nicht. Das ist fast das einzige, was wir von ihm wissen, dreiundzwanzig Jahre nach seinem Tod. Kurz vor seinem zwanzigsten Geburtstag. Vielleicht liegt seine Asche hier verstreut unter der Wand. Was geschehen ist, Sturz auf welcher Route oder ein Stein, der sich löste, ihn traf? Nur noch wenige werden es wissen. Die Eltern, Kollegen, eine Freundin vielleicht, die längst verheiratet ist und Kinder hat und nur noch gelegentlich an ihren Jens denkt, der ohnehin nur Fels und Klettern im Kopf hatte. Seine Eltern: Google bringt einen Jens Kallinich ans Licht, Vorsitzender der Lokomitivführergewerkschaft in Saarbrücken. Vielleicht der Vater? Wir fragen nicht nach, wir lassen das Vergangene ruhen, Staub zu Staub. Rolli Heer hat überlebt, auch Patrick Hilber, der weiter vorn beim Torre schwer stürzte und nur durch ein Wunder mit dem Leben davonkam.
Jens Kallinich starb, noch nicht zwanzig. Warum? Es gibt keine Antwort, jedenfalls wissen wir sie nicht. Gott würfelt nicht, soll Albert Einstein gesagt haben. Demnach gibt es keine Zufälle, nur Gesetze, die uns jedoch für immer und ewig verschossen bleiben werden. Und vielleicht ist Jens ja nun drüben und kennt sie und lächelt uns zu, wir da unter der Wand des Monte Cucco stehen und Gedanken wälzen. Nein, wir lassen es. Gehen weiter ums Eck. Oggi in stereo. Schöne klassische Linie mit guten Griffen, die schaffen wir doch noch. Und hoffen, dass die Würfel uns gnädig bleiben.
Ein Freund stieß zufällig auf diesen Blogeintrag über meinen verunglückten Sohn Jens – ich habe die Tafel dort angebracht und besuche den Ort auch immer wieder.
Jens war ein begeisterter Kletterer und nutzte jede Gelegenheit dazu. Er hatte gerade sein Abitur gemacht und war im Zivildienst tätig. Per Anhalter fuhr er mit Freunden über Silvester nach Italien und verabschiedete sich auf einem Zettel mit „Ciao und sei bitte nicht böse“.Sein letzter Eintrag im Kalender ist vom 4.1.87, in dem er die gekletterte Route beschreibt.
Am 6.6. war er gegen Mittag eine schwierige Route (Schwierigkeitsgrad 7) geklettert, kam begeistert oben an, wollte sich abseilen und beging- wohl in seiner Freude über die gelungene Tour- einen verhängnisvollen Sicherungsfehler. Er stürzte 40 Meter in die Tiefe.
Ich finde es tröstlich und bin dankbar, dass sich Menschen über das Geschehen Gedanken machen und Jens dadurch gegenwärtig ist. Die Trauer bleibt.
Joachim Kallinich
Auch ich bin zufällig über diesen Blogeintrag gestolpert.
Mir ist heute ein Bild von Jens in die Hände gefallen, auf dem er an einer steilen Wand hängt und ich mußte wieder an den netten Kerl denken, in den ich mit 16 Jahren verliebt war.
Ich habe damals in Bichishausen auf der Schwäbischen Alb gewohnt und Jens hat seine Ferien auf dem Zeltplatz in unserem Ort verbracht.
Natürlich ist er auf alle Burgruinen in der Umgebung geklettert, ich hatte immer fürchterliche Angst und hab unten gewartet.
Wir hatten eine schöne Zeit, wohnten aber leider zu weit auseinander.
Jahre später hab ich mal angerufen und habe erfahren, dass er verunglückt ist.
Ich bin dankbar, dass ich hier etwas mehr über ihn erfahren durfte.
Petra Frese
Jens wohnte bei mir in der Straße in Öhringen. Wir kannten uns noch nicht so lange. Wir verstanden uns auf Anhieb und hörten Kiss Musik.
Er war immer sehr fröhlich und gut drauf. Ein sehr, sehr netter
Mensch. Ich war damals sehr traurig, als ich von seinem Tod
erfuhr. Ich denke noch immer an ihn und werde ihn nicht
vergessen!
Sven Ensle