Monte Sordo

Stille Stunden am tauben Berg, allein, wo sich sonst Massen tummeln. Vielleicht hat die Finanzkrise gar die Kletterer aus Finale vertrieben.


Der taube Berg. Woher der Name stammt, haben wir nicht erforscht. Vielleicht hat ihn einst jemand angerufen in der Not, o Berg, Berg – doch er blieb taub oder stellte sich taub. Wir rufen ihn nicht an, wir kennen ihn seit Jahren, stumm und taub und freundlich duldet er unsere Versuche, uns an seinen löchrigen Flanken hochzuarbeiten, mit mehr oder weniger Eleganz und Fingerkraft. Eigentlich sind ja alle Berge stumm, glauben wir jedenfalls, nur in Sagen antworten sie mit schauerlichen Stimmen oder gleich mit Felsstürzen. Es hält hier auch niemand eine Bergpredigt, denn wir sind allein, wo sich sonst Massen tummeln, seltsam an einem so sonnigen und warmen Frühlingstag. Vielleicht hat sich Finale definitiv als Modedestination der Kletterszene des Nordens verabschiedet, aber das kümmert uns wenig und den stummen Berg mit dem fantastischen gelbgrauen Fels so ganz und gar nicht. Einst tummelten sich da auch Ziegen, nun ist auch ihr Geblök verstummt und nur ihr Duft hängt noch da in der grossen Höhle beim Speccio, gerade beim Einstieg zu «Free Nelson Mandela». Wir verzichten, nicht wegen dem penetranten Ziegenduft und auch nicht, weil Nelson Mandela längst frei ist, sondern, es sei gestanden. Sie ist uns gerade heute zu schwer. Die Griffe rücken halt mit der Zeit immer weiter auseinander, oder vielleicht ist es auch, weil man im Alter bekanntlich schrumpft. Es fehlt auch das Hundegebell, das früher die Kletterei begleitete wie heisere Filmmusik. Jetzt sind die Zwinger unten im alten Gehöft am Weg abgeräumt, alles sieht sauber aus, die Terrassen sind gerodet, warten auf Bepflanzung, Schilfrohre, Canne, liegen in dicken Bündeln bereit zum Stützen von Bohnen oder Weinreben, die Trockenmauern sind gereinigt, geflickt. Es lebt hier etwas auf in diesem stillen Tal zwischen Rocca di Perti und Monte Sordo, vielleicht besinnt sich Italien wieder seiner alten reichen Landwirtschaft, nachdem es durch Misswirtschaft, Mafia, korrupte Regierungen und Finanzgangster verarmt ist. Ist es etwa die Finanzkrise, die selbst die Kletterer fernhält und die Ziegen? Auch im Hotel war es so ruhig wie nie. Den tauben Berg wird es wenig kümmern, er strahlt eine grosse Ruhe aus, so etwas Ewiges fast, sie überträgt sich auf uns, wie wir da auf einem Felsband in der Sonne sitzen und saftige Birnen verspeisen und aufs Meer hinausblicken, das eben so ruhig und unberührt im Dunst der Ferne liegt.

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