Auf nach Grenchen am Jurasüdfuss. Dort findet vom 15. bis 17. September das zweite Schweizer Krimifestival statt. Mit dabei Autoren und Autorinnen von Bergkrimis.
«Ein hässliches Knirschen durchdrang die Idylle und riss die beiden Männer aus dem Staunen heraus. Doch es war zu spät. Das Geländer der Aussichtsplattform hatte sich durch den Druck aus der maroden Verankerung gelöst und kippte in Richtung Abgrund. Für einen kurzen Augenblick schien die Zeit stehen zu bleiben, als die beiden Männer den Halt verloren. Sie hatten keine Chance.»
Auch im Jura kann man gut in den Abgrund stürzen, insbesondere, wenn das Geländer nicht mehr hält. Und wenn man sich gierig darüber beugt, nicht um die fernen Alpen zu bewundern, sondern um eine stille Geländekammer zu betrachten, die durch ein nicht ganz legal bewilligtes Wellnessresort zugebaut werden soll. Ob das Geländer aber nur morsch war, oder ob da nicht jemand etwas nachgeholfen hat? „Fakten schaffen“ heisst doppeldeutig der Kurzkrimi von Barbara Saladin. Sie und Paul Ott sind die Herausgeber der Krimianthologie „MordsSchweiz 2“. Die 23 Geschichten, davon acht Geschichten von französischsprachigen Autorinnen und Autoren, führen auf eine Reise durch die facettenreiche Bandbreite des aktuellen Schweizer Krimischaffens, vom Cosy Crime über den historischen Krimi oder True Crime bis hin zur Krimikomödie. Fünf Geschichten spielen im Gebirge. Vom 15. bis 17. September 2023 gastiert das Schweizer Krimifestival zum zweiten Mal in Grenchen am Jurasüdfuss. Es vereint die deutschsprachige sowie die frankophone Kriminalliteratur und zeigt damit die gesamte Bandbreite des einheimischen Schaffens.
Silvia Götschi gehört zu den fleissigsten und erfolgreichsten Krimiautorinnen der Schweiz. Das jüngste Buch heisst „Rosenlaui“ und versprach einen rassigen Bergkrimi mit Bezug zum Reichenbachfall, wo Arthur Conan Doyle seinen Sherlock Holmes 1893 abstürzen und 1903 wieder auferstehen liess. Tatsächlich gibt es auch bei Silvia Götschi Tote bei diesem weltberühmten Wasserfall sowie in der Rosenlauischlucht weiter oben: „Neben sich spürte er die kalte Felswand, und nacktes Grauen packte ihn. Der Orientierungssinn ließ ihn im Stich. Er berührte noch einmal das Geländer, bevor er über die Brüstung gestoßen wurde und die Bodenhaftung ihm abhandenkam. Ein Griff ins Leere. Unter ihm tobte der Weißenbach.“ Schon wieder ein unfreiwilliger Abgang am Geländer… Hauptschauplatz in „Rosenlaui“ ist jedoch die fiktive psychiatrische Anstalt „Santa Madre“ unterhalb der Miliflue bei Meiringen.
Ganz in den Bergen angesiedelt ist der zweite Krimi von Saskia Gauthier: „Verborgene Schreie am Vrenelisgärtli“. Sie sind zu hören, oder zu ahnen, in einem fiktiven Wellnessresort in den Glarner Alpen. Dort will sich die Rechtsmedizinerin Lisa Klee – das ist auch der Beruf der Autorin – vom beruflichen Stress in Zürich erholen. Aber natürlich geht das nicht, wenn es erstens Tote mit unklarem Abgang (Geländer!) und zweitens keine Verbindung mehr in die Aussenwelt gibt. Lisa ist bei ihren Ermittlungen nicht auf sich alleine gestellt; eine englische Krimileserin hilft ihr mehr oder weniger. Spannende, auch humorvolle Szenen wechseln ab mit etwas unglaubwürdigen Settings. Dass beim Bergwandern immer der Abgrund lauert, das lesen wir vielleicht lieber als dass wir ihn neben den Schuhsohlen spüren: „Irgendwo musste ja endlich die Abzweigung kommen, die mich oberhalb vom Großblausee wieder auf den Hauptweg in Richtung Resort bringen würde. So hielt ich mich krampfhaft an den Ketten fest und versuchte, nicht in den Abgrund zu schauen.“ Saskia Gauthier tritt in „MordsSchweiz 2“ und am Krimifestival Grenchen auf.
Zum Schluss noch ein Abgang bzw. Abgesang auf einen Autor. Vierzehn Alpenkrimis schrieb Jörg Maurer, fast alle habe ich auf bergliteratur.ch vorgestellt. Nicht alle sind hundertprozentige Bergkrimis, doch mit Schauplatz Garmisch-Partenkirchen zwischen Ammer-, Ester- und Wettersteingebirge war der Bergbezug mehr als gegeben. Titel wie „Felsenfest“ oder „Am Abgrund lässt man gern den Vortritt“ sind glaubwürdige Zeugen. Nun sind die Höger abgetragen, auf dem Cover und im Buch. Band fünfzehn heisst „Kommissar Jennerwein darf nicht sterben“. Soviel sei verraten: Er tut es nicht. Ich las das Buch in einer Tour. Und freute mich besonders an diesem Einschub (solche Einfälle sind ein Markenzeichen von Maurer): „Was grosse Helden in ihren Rucksack packen“. Bei Reinhold Messner steht: Ersatzrucksack.
Paul Ott, Barbara Saladin: MordsSchweiz 2. Gmeiner Verlag, Meßkirch 2023. € 15,00.
Das zweite Schweizer Krimifestival findet vom 15. bis zum 17. September in Grenchen statt. Alles weitere hier: https://krimifestival.ch/
Silvia Götschi: Rosenlaui. Emons Verlag, Köln 2023. € 18,00.
Saskia Gauthier: Verborgene Schreie am Vrenelisgärtli. Gmeiner Verlag, Meßkirch 2023. € 15,00.
Jörg Maurer: Kommissar Jennerwein darf nicht sterben. Der 15. Fall. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2023. € 22,00.