Dreizehn ist je nach Ansicht eine Glücks- oder Unglückszahl. Unklar ob aus dem einen oder andern Grund die Herausgeber (auch Messner wiedermal!) dieses Satellitenbilder-Bandes mit historischen und anderen Begleittexten gerade 13 Berge der Welt ausgewählt haben. Glück hier (Denali), Unglück dort (Montblanc). Wie es halt so ist in den Bergen. Irgendwann werden Weltraumtouris selbst im Satellit sitzen und alles aus der vierten Dimension betrachten.
„Wir stiegen weiter bergauf – Zentimeter und Zentimeter rückte der Gipfel näher. Und dann, ganz plötzlich, waren wir da: Wir standen auf dem Dach Nordamerikas, 6193 Meter über dem Meeresspiegel. Rings um uns bot sich ein atemberaubender Rundblick über Alaska – fast 250 000 Quadratkilometer Land erstreckten sich vor uns.
Auf dem Gipfel wehte ein böiger Wind mit über dreiβig Stundenkilometern, und die Temperaturen lagen bei knapp minus dreiβig Grad. Ich hüpfte auf und ab, um mich warm zu halten. Eine Stunde lang blieben wir auf dem Gipfel – angesichts der dort herrschenden Bedingungen eine ziemlich lange Zeit. Oft genieβen Bergsteiger den Ausblick von einem Gipfel nur kurz, schieβen ein paar Fotos und beginnen dann so schnell wie möglich mit dem Abstieg. Da Brad jedoch wie immer auch wissenschaftlichen Fragen nachging, mussten noch einige Arbeiten erledigt werden, bei denen wir ihm alle abwechselnd halfen.“
Brad ist der US-Amerikaner Bradford Washburn (1910–2007), Erbauer und Direktor des Museum of Science in Boston, Kartograph des Everest, des Grand Canyon, der Presidential Range von New Hampshire und eben des Denali, damals noch Mount McKinley genannt. Am 6. Juni 1947 geht er dort oben seiner Arbeit nach, assistiert unter anderen von seiner Frau Barbara (1914–2014). Sie steht als erste Frau auf dem höchsten Gipfel von Nordamerika. Ihr sehr lesenswerter Bericht dieser Expedition, deren Erfolg zeitweise an einem ganz dünnen Seil hing, ist aktuell wieder in einem grossformatigen Bildband greifbar, an dem Brad bestimmt Freude gehabt hätte.
Am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt entstanden auf Basis von Satellitenaufnahmen aus mehreren Hundert Kilometer Höhe hochgenaue digitale Abbilder bekannter Gipfel wie Denali, Aconcagua, Kailash und Everest. Aus den erstellten Geländemodellen schufen Wissenschaftler am Computer fotorealistische Abbilder. So wurden virtuelle Darstellungen aus zuvor undenkbaren Perspektiven und in grosser Präzision möglich: Ansichten, die ein genaues Bild der dreidimensionalen Gestalt entstehen lassen. Zusammen mit topografischen Karten, Infografiken und geologischen Steckbriefen werden die individuellen Charakterzüge jedes Berges greifbar. Zu jedem der 13 Gipfel gibt es zudem eine kurze Alpinihistorie sowie einen persönlichen, mit dem jeweils passenden Bildmaterial illustrierten Bericht über eine bemerkenswerte Tour an diesem Berg. Barbara Washburns Premiere am Denali. Die Eröffnung einer neuen Linie in der Matterhorn-Südwand durch Hervé Barmasse. Die Tragödie am Frêney-Pfeiler am Mont Blanc, erzählt von Pierre Mazeaud, einem der drei Überlebenden. Oder die Erstbesteigung des Uschba-Südgipfels durch Adolf Schulze und Gefährten.
Die Uschba im Kaukasus ist ein gutes Beispiel, was die neuen Ansichten leisten können. Grandiose, detailreiche, wunderbar plastische Aufnahmen des Gipfels und seiner Umgebung, aus der Luft, von der Seite, von unten, immer ähnlich farbig, felsig-eisig. So rundum erfasst hat man diesen stolzen Berg wohl noch nie gesehen. Und dann schlägt man die Buchseite um, steht vor einer schwarzweissen Foto von Vittoria Sella von 1889 und sagt zu sich: „Wow, was für ein Berg!“ Und was für eine Foto natürlich.
13 Gipfel werden vorgestellt, davon 8 aus dem Himalaya und Karakorum. Und so gleichen sich die modernen Ansichtsfotos doch ziemlich stark. Klar, die Topalpinisten, die an diesen Riesen neue Linien und Herausforderungen suchen, werden die hochaufgelösten Bilder schätzen. Aber andere Berginteressierte, denen eigentlich 8000 Fuss genügen, hätten sich eine breitere Auswahl der Gipfel gewünscht: Tien Shan, Mount Kenya, Trollryggen, um nur drei zu nennen. Auch an ihnen wurde alpinistische Geschichte geschrieben. Doch kehren wir zurück zu derjenigen von Barbara Washburn.
„Der nächste Tag, der 7. Juni, war Brads 37. Geburtstag. Ich hatte mich gerade auf einen erholsamen Tag eingestellt, den ich mich Lesen und Briefeschreiben verbringen wollte, als er die Plane seines Zeltes zurückschlug und verkündete: ‚Lasst uns auf den North Peak steigen! Ein so perfekter Tag wie heute bietet sich uns nie wieder.‘“
Stefan Dech, Reinhold Messner, Nils Sparwasser: m4 Mountains – Die vierte Dimension. Herausgegeben vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Malik Verlag, München 2016, Fr. 65.-