Muro Rosso

Alle Jahre wieder: Klettertage mit guten Freunden im Oltre Finale. Fels und Cappuccino, Bier und feine Cena und Flugerfahrungen als Schmetterling ohne Flügel.

Der Fels ist grau, steiler kalter Kalk, und auch die Welt ist grau, schleichende Nebel im abgelegenen Tal, still unter einem Bergdorf, das Alto heisst, hoch im Valle Pennavaire gelegen und schon nicht mehr in Ligurien, sondern bereits im Piemont, wie eine Tafel an der Kurvenstrasse bekanntgab. Stille, Stille, unser Atem, wenn wir klettern, der Wind im noch kahlen Geäst der Eichen, irgendwann dröhnt eine Horde Motorradfahrer über den alten Saumweg durchs Tal. Klettern dagegen ist ein stiller Sport, manchmal ein Ruf, ein Schrei aus Freude oder Not, doch meist ruhig konzentrierte Bewegung der Freunde an den Sintersäulen, die Elefantenrüsseln und Mammutköpfen gleichen, schwarz und grau. Die rote überhängende Wand tasten wir nicht an, ist zu schwer.

Wie schon zwei Jahre zuvor haben wir uns zu viert für ein paar Klettertage zusammengefunden, aus dem harten Berufsalltag die Freunde. Wir ergänzen uns bestens, schön abgestuft unsere Niveaus im on-sight, so ungefähr 6b, 6c, 7a, 7b; wir kennen uns seit langem und ergänzen uns auch in unserer Liebe zum Cappuccino nach dem Klettern in der Bar Neva in Cisano und zum Bier beim Apero und zur exzellenten Cena in der Bar Sport. Bergsteigen, so sagte man einst, ist ein Umweg in die Beiz, aber so ist es denn doch wieder nicht.

«Nodo a Farfalla» heisst eine der wunderbaren kleingriffigen Routen im grauen Fels, bei der ich selber zum Schmetterling werde, allerdings ohne Flügel, aber doch in elegantem Flug in die Tiefe tauche, so muss sich Bungee-Jumping anfühlen. Hat’s dir was gemacht? Aber nein! Am Seil hochziehen und weiterklettern, jetzt finde ich auch den Griff, der zuvor fehlte. Dann fällt mir ein, dass ich zwei meiner Freunde auch anlässlich eins spektakulären Sturzes kennenlernte, am Villigerpfeiler vor einem Vierteljahrhundert, damals hing ich kopfüber in der Wand und kletterte so unbeeindruckt weiter wie jetzt. Es ist, als ob sich ein Kreis schliesse, jedenfalls in meinem Kopf. Gibts dazu nicht ein Gedicht von Rilke?

Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen,
die sich über die Dinge ziehn.
Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen,
aber versuchen will ich ihn.

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