Zwei Fotobände über Heilige Berge, von denen es weltweit mehrere gibt, so dass die Autor/-innen sogar einige vergessen haben, wie unser findiger Rezensent festgestellt hat. Aber das tut den prächtigen Werken wohl keinen Abbruch. Aber darf man etwas Heiliges überhaupt abbilden? Oder gar hinaufklettern und den Fuss auf einen Heiligen Gipfel setzen? Vielleicht geben die zwei Bücher auch Antworten auf so verzwickte alpin-theologische Fragen.
„Der Olymp ist unser. Wir sind die ersten Menschen hier oben, seit der Abreise der Götter.“
Es war der 2. August 1913, morgens um neun Uhr. Der Genfer Schriftsteller und Maler Daniel Baud-Bovy, sein Landsmann Frédéric Boissonnas, der durch prächtige Fotobände von Griechenland berühmt werden sollte, und der einheimische Jäger Christos Kakalos feierten die endlich geglückte Erstbesteigung des heiligen Berges. Sie errichteten einen Steinmann, hissten die Schweizer Fahne, tauften den Gipfel Pic de la Victoire – und bedauerten bloss die Wolken, welche die Aussicht vom Götterthron und höchsten griechischen Berg verdeckten. Bis der Wind den Vorhang liftete und die drei Erstbesteiger merkten, dass sie gar nicht auf die höchste Zacke geklettert waren. „Zeus hat uns besiegt“, notierte Baud-Bovy im Buch „La Grèce immortelle“, das Boissonnas 1919 herausgegeben hat. Sie wollten schon den Rückzug antreten, bis Kakalos doch noch die richtige Route auf den allerhöchsten Gipfel fand. Das Trio taufte den Gipfel Pic Venisélos. Der Name hat sich nicht durchgesetzt, die höchste Spitze des Olymp nennt man Mytikas (2917 m).
Der Olymp ist einer der mystischen Berge, die in zwei opulenten Bildbänden vorgestellt werden. Beide führen uns zu heiligen Gipfeln auf der ganzen Welt, vom Mont Bégo in den Alpes maritimes mit seinen geheimnisvollen Steinzeichnungen über den Kilimandscharo im Nordosten von Tansania und den Mount Shasta, den Topskigipfel in Nordkalifornien, bis zum Fuji auf der japanischen Hauptinsel Honshū und zum Pic d’Adam. Noch nie gehört! Der Pic d’Adam (2243 m) wird geläufiger Sri Pada genannt und ist der heilige Berg auf Sri Lanka. „Der Name bedeutet im Sanskrit ‚heiliger Fuβ‘ und bezieht sich auf einen Felsabdruck von rund 1,8 Metern Länge unweit des Gipfels. Hindus sehen darin den Fuβabdruck Shivas, Buddhisten den Buddhas. Die Muslime glauben ihrerseits, Adam habe sich nach der Vertreibung aus dem Paradies hier verewigt, während die Christen die Vertiefung im Fels für den Fuβabdruck des Apostels Thomas halten.“ Kein Wunder also, dass dieser vielfach heilige Berg von Dezember bis Mai von Hunderten von Leuten bestiegen wird. In den restlichen Monaten ist mit heftigen Regenfällen, starkem Wind und dichtem Nebel zu rechnen, schreibt Pierre Chavot. Dann macht das Gipfelpilgern nimmer wirklich Freude.
Erstaunlicherweise fehlen in beiden Werken Berge, die ich eigentlich auch unter den mystischen erwartet hätte. Den Rocciamelone (3538 m) in den Grajischen Alpen beispielweise, der höchste Wallfahrtsgipfel der Alpen. Und die süditalienischen Vulkane Ätna, Stromboli und Vesuv, gehörten sie nicht auch in solche Bücher? Oder der Denali (6168 m)? 1896 war der höchste Berg Nordamerikas und der USA nach dem 25. US-Präsidenten William McKinley benannt worden. Dabei passt der alte Namen in der Sprache der Ureinwohner Alaskas viel besser: Denali bedeutet „der Grosse“. Auch er wurde wie der Olymp 1913 erstmals bestiegen.
Apropos Olymp: In zwei Wochen beginnt die Winterolympiade in Sotschi. Ob es dort einmal auch heilige Berge für Skirennfahrer geben wird wie bei uns? Die alten Namen kennen wir ja bestens: Chuenisbärgli, Lauberhorn & Hahnenkamm.
Pierre Chavot: Mystische Berge. Eine Reise zu den heiligen Gipfeln der Erde, Frederking & Thaler, München 2013, Fr. 59.90.
Marianne Boilève: Montagnes sacrées, Éditions Glénat, Grenoble 2010, Fr. 39.90.