Blassenkopf, Schroffkogeleck, Leichen in der Steilwand, Mafia und Naturjodel. Jörg Maurers Alpenkrimis mit Kommissar Jennerwein sind und spielen auf der Höh‘.
Die beiden Wanderer bogen um die Kurve und blieben stehen. Sie waren jetzt auf zweieinhalbtausend Meter Höhe, die Luft war merklich kühler als unten im Kurort, wo die Touristen schon in kurzen Hosen von Eisdiele zu Eisdiele schlenderten. Hier oben wurden die beiden Wanderer von bösen Winden attackiert. In der Ferne bäumten sich zwei unförmige Gebirgskegel mit windschiefen, gezackten Gipfeln auf: links die Gatterlköpfe, rechts die Plattspitzen.
„Was sind denn das für Berge?“, fragte der eine der Wanderer.
„Links, das ist der Brunntalstein, rechts der Blassenkopf“, entgegnete der andere.
„Ist das rechts nicht eher das Schroffkogeleck?“
„Das Schroffkogeleck auf keinen Fall.“
„Es muss das Schroffkogeleck sein. Der Blassenkopf ist doch ganz woanders.“
Der Blassenkopf lag wirklich ganz woanders. Der Brunntalstein und das Schroffkogeleck aber auch.
So schräg und doch genau beginnt das erste Kapitel im dritten Alpenkrimi von Jörg Maurer; die Buchpremiere von „Niedertracht“ hat am 19. März im Münchner Volkstheater stattgefunden. Wieder wird Kommissar Jennerwein mit seinem Team nach Garmisch-Partenkirchen im bayerischen Oberland beordert, aber diesmal muss er selber in die Steilwand, weil die Leichen in schier unzugänglichen Nischen stecken. Wieder gibt es überraschende Wendungen, halbstarke Nebenfiguren, abseitige Schauplätze. Wieder mischt die Mafia mit, doch diesmal sind Insekten ihre Hauptwaffen. Und dann ist da noch dieser schreckliche Putzi, der die Gams nicht jagt, sondern an Erschöpfung sterben lässt. Könnte man das nicht… verrate ich nicht. Ob Alpenkrimi oder nicht: Jörg Maurers Bücher sind einfach auf der Höh‘.
Eigentlich wollte ich „Niedertracht“ mit einem Rucksack voll anderer echter oder nur scheinbarer Bergkrimis vorstellen, bin nämlich auch erst durch die Hälfte des Romans geklettert, den ich vor drei Tagen erhalten habe. Doch gestern erhielt ich folgendes Mail von Letizia Manetsch vom Alpinen Museum in Bern: „Literarische Gipfelblicke – alpines Bergpanorama aus Sicht des Schriftstellers: Eine literarische Wanderung zu frühen Alpenbetrachtern. Donnerstag, 7. April 2011, 18.30 h, mit Christopher Dietisheim, Germanist. Die Aus- und Fernsicht von Berggipfeln ist seit der touristischen Erschliessung der Alpen wichtiger Bestandteil eines geniesserischen Bergerlebnisses. Dies war nicht immer so: Das Hinabschauen und Hinausblicken auf weite Berglandschaften erzeugte unterschiedlichste Bilder – furchterregender, schrecklicher, idyllischer, erhabener und heimatlicher Alpen. Auf dieser Reise durch Etappen der alpinen Mentalitätsgeschichte wird dieser Wahrnehmungswandel der Aussicht anhand bedeutsamer literarischer Texte der frühen Alpinliteratur nachgezeichnet.“
Dazu passt doch diese späte Alpinliteratur bestens. Jörg Maurer scheint sich aber auch in der älteren auszukennen. Jedes Kapitel wird nämlich mit einem ganz besonderen Jodler eingeleitet – allein das zu lesen macht ungeheuren Spass. Zum Beispiel den Ausschnitt aus Carl Sternheims Entwurf für das Drama „Die Lederhose“ – wenn es ihn denn gibt…
Er (schwer atmend) Endlich! Der Gipfel!
Sie Kolossaler Ausblick.
Er Jodler genehm?
Sie Durchaus angemessen.
Er (singt) Holldri-jo!
Sie Chapeau!
Er Zügiger Abstieg?
Sie (erfreut) Bon.
Jörg Maurer: Niedertracht. Alpenkrimi, Fischer Taschenbuch, Fr. 14.50, www.joergmaurer.de
Literarische Gipfelblicke, Alpines Museum Bern, Donnerstag, 7. April 2011, 18.30