Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste. Doch Vorsicht allein genügt in den Bergen nicht. Die Natur hat schon manchen verschluckt, der noch leben würde, hätte sein Partner gewusst, wie er sein Material einsetzen kann. Ich will es wissen. © Annette Frommherz
Imposant anzusehen, diese Eisschrauben an meinem Klettergurt. Sie dabei zu haben, wenn wir auf dem Gletscher unterwegs sind, ist nice to have. Sie sind aber wertlos, wenn ich nicht weiss, wie sie anzuwenden sind. Schön, meine Steigeisen an den Bergschuhen; diese groben Zacken, die sich böse in jeden Untergrund rammen. Wie aber steige ich damit die Felsen hoch? Wann macht es Sinn, sie abzulegen? Auch das Seil um meine Schultern macht aus mir noch keine Berggängerin. Kenne ich alle Knoten, die ich am Berg brauche? Welcher ist wann anzuwenden? Wo überall lassen sich Bandschlingen einsetzen? Wie wende ich den Bickel an? So viele Fragen, auf die ich eine Antwort will.
Das Furkagebiet lässt keine Wünsche offen, um all das zu trainieren, was auf Hochtouren gefragt ist. Das Wetter trägt das seinige dazu bei, uns nach ihm zu richten. Morgens treibt sich dichter Nebel herum, Schnee hat es wie Zuckerstaub auf die Matten gelegt. Der Aufstieg ist rutschig. Wir üben bereits am ersten stotzigen Block, was es heisst, auf Untergrund zu gehen, der mit nassen Moosflechten bedeckt ist. Weiter oben lädt das erste Firnfeld dazu ein, als Zweierseilschaften die Tücken von steilen Hängen zu überwinden. Später kraxeln wir auf Felsblöcken unterhalb des Klein Furkahorns mit und ohne Steigeisen herum. Wie emsige Ameisen müssen wir für Adler am Himmel aussehen, gäbe es denn welche. Kaum Zeit für eine Verschnauf- oder Vesperpause drängt uns der Bergführer hinüber zum Rhonegletscher, den ich heute tatsächlich – ich gebe es knirschend zu – zum ersten Mal in natura sehe. Ich bin beeindruckt. Wie ein grauer Lavastrom scheinen die Eismassen in die Tiefe zu fliessen, still vor sich hinschmelzend.
Wir werden mit unserer ganzen Ausrüstung durch den Souvenirshop gelotst. Den Touristenstrom in Strickjäckchen und Ballerinaschuhen ignorieren wir gekonnt und arbeiten uns zielstrebig zum Gletscher vor. Es ist nicht das erste Mal, dass ich auf einem Gletscher stehe, aber auch dieses Mal habe ich grossen Respekt vor Mutter Natur. Wenn ich über eine Spalte springen muss, schaue ich nur auf die andere Seite. Erst im nachhinein riskiere ich einen Blick in die blauen Tiefen.
Die Spaltenrettung mit dem Flaschenzug – unter Einsatz der Eisschrauben und mit vereinten Kräften – verlangt uns einiges ab. Wohl dem, der eine andere Seilschaft in der Nähe hat, die ihm helfen kann, einen in die Spalte gestürzten Kameraden zu bergen. Ich jedenfalls habe meine Kameradin erst mit einer zweiten Umlenkung und mit Hilfe meiner Mitstreiter aus der Spalte ziehen können. Ich habe viel dazugelernt. Eis-Sanduhren, doppelte Spierenstiche und Garda-Rücklaufsperren sind für mich keine spanischen Wörter mehr. Begriffe wie Kreuzklemmknoten, T-Schlitz oder Prohaska bringen mich nicht mehr ins Schwitzen. Auch das Prinzip des Flaschenzugs habe ich begriffen; mit der Ausführung allerdings hapert es noch. Ich bleibe dran.