Nur ein kleiner Schubs

Vom Manaslu zur Schwammegg im Züri Oberland: Der Tod wartet auch an kleinen Bergen.

«Ein falscher Tritt, und es wäre das Ende.
Oder ein Stoß…»

Zwei Zeilen, elf Wörter: Kürzer lässt sich die entscheidende Frage bei Bergkrimis kaum fassen. Amy McCulloch holt im Thriller „Der Aufstieg. In eisiger Höhe wartet der Tod“ auf Seite 462 aber aus, wenn der Staralpinist Charles McVeigh der Journalistin und Bergsteigerin Cecily Wong erklärt:

«Wie ich schon gesagt habe, gibt es keinen besseren Ort als hier oben. Am Everest war nur ein Stoß nötig – ach was, kein Stoß, nur ein kleiner Schubs, fast gar nichts –, und ein Mann ist in den Tod gestürzt. Ein Mann, der geglaubt hatte zu sehen, wie ich Fixseile benutzt hatte, und daraufhin Gerüchte in die Welt gesetzt hat. Was für eine Dreistigkeit! Anzunehmen, dass ich dieselben Hilfsmittel und Krücken benutzen würde, die Durchschnittsmenschen brauchen, um auf diese Gipfel zu kommen.»

Ein echt unsympathischer Kerl, dieser Charles. Mehr sei nicht verraten zum Manaslu-Thriller. Vielleicht noch, dass die Eigernordwand vorkommt, und dass es ein paar alpinistisch nicht ganz korrekte Beschreibungen gibt. Aber da lesen wir grosszügig drüber und hoffen einfach, dass der Charles einen falschen Tritt macht. Oder dass Cecily ihm einen Schubser gibt.

Vom Himalaya in die (bayerischen) Alpen, zu Nicola Förg und zu ihren Kommissarinnen Irmi Mangold und Kathi Reindl. Der dreizehnte Band heisst „Hohe Wogen“, die Fronten führen zwischen Freizeit-Wassersportler und Berufsfischer, Ausflügler und Anwohner, und all das zur Coronazeit. „Die Gipfel sind bevölkert wie Fußgängerzonen“, beklagt sich Hase, der Lebenspartner von Irmi. Es geht nicht nur ins Wasser, sondern eben auch hinauf in die Berge, zum Beispiel auf dem äusserst schwierigen Mauerläufersteig. Doch der Unfall passiert nicht auf diesem Klettersteig, sondern auf dem Gipfel:

«Sie war immer so hektisch. Was, wenn sie da oben auch wieder viel zu unvorsichtig gewesen ist! Es ist extrem ausgesetzt da oben. Ein Fehltritt genügt. Was, wenn sie Basti versehentlich mit dem Objektiv touchiert hat? Und er daraufhin abgestürzt ist?»

An einem Klettersteig selbst kann es auch ganz hektisch werden, wenigstens bei einer Verfolgungsjagd wie im Berchtesgaden-Krimi „Mord am Kehlsteinhaus“ von Felix Leibrock. Sein Erstling „Mord am Watzmann“ (https://bergliteratur.ch/moerderische-berge/) hat mir, auch bergkrimimässig, um einige Tritte besser gefallen. Hier die Szene mit dem guten Polizeibergführer Simon Perlinger und dem bösen Brunner – der Zweikampf an exponierter Lage erinnert von fern an denjenigen zwischen Sherlock Holmes und Professor Moriarty hoch oberhalb des Reichenbachfalls am 4. Mai 1891 (https://bergliteratur.ch/climbing-with-sherlock-holmes/):

«Simon biegt ihm die linke Hand auf den Rücken und schlägt die eine Hälfte der Handschelle über Brunners Handgelenk. Der leistet nun zwar heftigen Widerstand, aber Simon schafft es, Brunners Arm in Richtung des Drahtseils zu drehen. Brunner hält dagegen. Zentimeterweise drückt Simon die andere Hälfte der Handschelle dem Drahtseil entgegen.»

Doch jetzt stehen Winter und Weihnachten vor der Tür. Da kann ich die Winterkrimis „Zürihegel“ von Stefan Haenni empfehlen, wenigstens die Geschichte vom Atzmännig-Sessellift; auf dem Cover entschwinden Zweiersessel im Nebel. Ausschnitt:

«Wo ist eigentlich Ihr Mann geblieben?», wunderte sich der Angestellte, die Hand bereits am roten Hauptschalter der Anlage. «Der war doch gerade noch da?»
In der Tat die entscheidende Frage! Umso mehr galt es für Hedwig, cool zu bleiben. «Ich nehme an, er ist zu unserem Wagen vorausgegangen. Ralf hat über kalte Füße geklagt.»

Der Arme wird auch über andere kalte Körperteile geklagt haben. Nur hörte ihn niemand. Der Tod wartet nicht nur am Manaslu (8163 m), sondern auch am Atzmännig-Gipfel Schwammegg (1282 m).

Amy McCulloch: Der Aufstieg. In eisiger Höhe wartet der Tod. Piper Verlag, München 2022, € 17,00.
Nicola Förg: Hohe Wogen. Ein Alpen-Krimi. Piper Verlag, München 2022, € 16,00.
Felix Leibrock: Mord am Kehlsteinhaus. Servus Verlag, Wals bei Salzburg 2022, € 14,00.
Stefan Haenni: Zürihegel. Winterkrimis. Gmeiner Verlag, Meßkirch 2022, € 14,00.

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