Oltre heisst «mehr als» oder «darüber hinaus». Kann ein Klettergebiet mehr als Finale sein? Ein Augenschein westlich des klassischen Fels-Eldorados am Mittelmeer.
Die Felswand grau in der Morgensonne, raue Griffe, chromstahlglänzende Bohrhaken. Aufwärmen, einklettern. Und dann Stimmen im Wald. In langer Reihe marschieren die Kletterer und Kletterinnen an, darunter die Schönen im hautengen Dress. Die Blaue, die Gelbe, die Violette, so orientieren wir uns. Stimmengewirr und Rucksäcke ab und Helm auf die schwarzen Lockenköpfe und die Glatzen und grauen Mähnen und die Ruhe ist dahin. Seile spannen sich über die Wand, Rufe feuern an und korrigieren und loben und viel Lachen schallt rundum.
Die Kirchweih des Sportkletterns geht ab. Kindergeschrei und Hundegebell gehören dazu und einer, ein finnischer Bärenjägerhund, planscht ins Wasserbecken unter der Wand, das irgendeinem landwirtschaftlichen Zweck dient, wälzt sich durch den Dreck und schüttelt sich direkt über unserem Seilsack. Wir ertragen es mit Geduld, die Sonne wird es trocknen. Nur einer fragt melancholisch: «Was ist aus unserem Sport geworden?»
Gestern haben wir unter einer überhängenden Wand kaum Platz gefunden für unser Material neben den im Geröll und Dreck verstreuten Barbiepuppen und Spielzeugautos, und irgendwann beobachten wir eine zwölfjährige Andrea aus Zürich, die ein bisschen an eingehängten Seilen schaukelt und dann schnell und locker eine 7a oder 7b im Vorstieg klettert. So, als sei es der Kletterturm im Kindergarten.
Reinhold Messner soll den Begriff des «Pistenbergsteigen» geprägt haben. Hier sind wir mitten drin angekommen.
Oltre Finale ist in, Finale ist out. Denn dort im Osten, im klassischen Klettergebiet um Finale Ligure, kennt man mittlerweile jede Route (die man kann und die drei Sterne hat im Führer) und jeden speckig gekletterten Griff. Es brauchte also Neuland, etwas «darüber hinaus», und das nannte man Oltre. Mit Finale hat das Gebiet bei Albenga wenig zu tun, aber auf den eingebürgerten «Brand» wollte man offenbar nicht verzichten. Das Gebiet wurde in Kletterzeitschriften publiziert, sprach sich herum und die Szene stürzte sich drauf wie auf frischen Frass.
Dindo heisst einer der Erschliesser, wir treffen ihn am Samstagmorgen in der Bar in Cisano sul Neva. Es heisst, er sei Bauarbeiter oder sowas, klein, kräftig, braungebrannt und mit freundlichen Augen. Samstags bohre er neue Routen ein, sonntags klettere er sie. Etwa hundert Routen im Jahr richte er ein, steht in einem Schreiben, das er ans Brett gehängt hat, und in dem er betont, dass er von Andrea Gallos dickem Kletterführer keinen Euro bekomme für seine Arbeit und seine Routeninformationen. Nebenan hängt eine Sammelbüchse, wir werfen gern ein paar Euro hinein.
Fels um Fels machen er und seine Kumpels gangbar und schieben in dem abgelegenen Tal eine kleine Ökonomie an: Kletterer kommen, übernachten, kaufen ein, essen, trinken. So werden Steine zu Brot. Doch ein grosses Geschäft ist es nicht, zwei, drei Arbeitsplätze vielleicht, schätzen wir. Das Geld im Klettersport bleibt nicht im Tal liegen, sondern fliesst zu den Ausrüstern, den Sportiva und Patagonia und Mammut.
Anders wäre es, wenn man die Entwicklung am modernen Begriff der «Ökonomie des Glücks» messen würde. Denn Messner hin oder her, glücklich sind wir trotz Pistenalpinismus und Hundegebell nach einem harten Klettertag im superfeinen Restaurant am Dorfplatz. Glückliche Gesichter auch bei den vielen, die sich gegen Abend in der Bar ihr Bier oder ihren Capuccino gönnen. Und auch die Kinder, die ihre Barbies und Autos eingesammelt haben, sind wohl glücklich nach einem Tag im Freien mit ihren fitten und ehrgeizigen Eltern.
Natürlich hat Messner recht. Es ist Pistenbergsteigen und mit Bergsteigen im klassischen Sinn hat es wenig gemein, ausser dem Klettern am Fels. Es ist Sport, es ist etwa Neues und der Schaden, den die Natur dabei nimmt, ist jedenfalls hundertmal geringer als jener von Skipisten.
Ein skurriler Aspekt von Oltre Finale sind die Namen der Gebiete und der Routen. Da hier in beinahe industriellem Tempo erschlossen wird, ist der Bedarf gross, also hat man sich mit lexikalischen Begriffen beholfen. Von Pflanzen und Kräutern, Weinsorten, den Namen von römischen Kaisern und Philosophen bis zu Computersoftware haben die Erschliesser verschiedene thematische Felder abgehakt – im Sinne des Wortes sozusagen. Sagte früher der Name einiges aus über den Charakter der Route oder die politisch-kulturellen Neigungen der Erschliesser, so fehlt hier dieses Orientierungsmerkmal. Nur bei den Römern fand ich auf der Route «Bruto» eine gewisse Übereinstimmung zwischen Namen und Struktur. Mein Sturz ins Leere von der fiesen Schlüsselstelle kam so schnell, dass ich keine Zeit fand «auch du Brutus» zu rufen, wie weiland Julius Cäsar bei seiner Ermordung. Dafür hatte ich das Glück, zu überleben.
hallo leute
gibt es im gebiet oltre finale auch genügend routen im 4-5er Bereich.möchte über weihnachten dort urlaub machen .
danke vorab für eure antworten und tips
schischan