No pain, no gain: Vom Schmerz und vom Glück erzählt der Bergsteiger und Ex-Chefarzt Oswald Oelz in seinem neuen Buch. Mit Bildern und Worten. Unbändig, tabulos, frech.

„Wir waren detached ‚from the world‘. Hohe Berge heben ab, und kaum einer eignet sich dafür so gut wie der Kilimandscharo, der höchste frei stehende Gipfel der Welt. Er erhebt sich über einem flachen, unendlich weiten Land, und darum ist diese andere Welt da unten so fern. Auf dem Mount Everest, dem Aconcagua oder dem Vinsonmassiv befindet man sich auch auf dem höchsten Punkt eines Kontinents. Aber da sind die vielen kleineren Konkurrenten, deshalb ist die Freiheit des Blicks nicht so absolut.
Um 6 Uhr morgens erreichten wir den Uhuru Peak, 5895 Meter. Zwischen roten Wolkenbänken ahnten wir die andere Welt dort unten mit den zu Tode gehetzten Gnus und Zebras, den Löwen, dem dampfenden Dschungel und dem Affengeschrei. Hier standen wir im eisigen Wind auf Mondlava, heraufgekommen durch den Regenwald, Sumpf, Steppe, Sand und Wüste.
Ein Abstieg von einem Vulkan bedeutet manchmal weiches Gleiten in Asche und dann wieder ruppiges Bremsen auf spitzen Brocken. Die Gruppe zog sich in die Länge, elastische Frauenbeine enteilten schlottrigen ‚Lebenslang-Sportknien‘, Behindertenabstieg.
Um 9 Uhr erreichten wir unseren nächtlichen Ausgangspunkt, 4750 Meter. Popcorn und Peanut-Butter auf dünnem Pampebrot sollten stärken, glücklicherweise hatten wir noch eine Flasche Champagner. Es folgten weitere 1800 Meter Abstieg, und dann wäre eigentlich noch eine Nacht im Regenwald zu verbringen gewesen. Aber wir wollten Bier, gebratene Hühner und eine warme Dusche. So absolvierten wir an diesem Tag 4000 Meter Abstieg und dann noch einmal 1000 Meter mit dem schwankenden Auto. Der Abend, der am Vortag um 23.30 Uhr begonnen hatte, löste sich spät im südafrikanischen Rotwein auf – so schön kann Leben sein. Wäre es auch so schön gewesen, wenn die Schlafsäcke immer trocken, das Messezelt ordentlich und wir am letzten Tag gar noch anständig verpflegt worden wären? Oder‚ no pain, no gain‘?“
Keine Schmerzen, kein Gewinn? Beim Trekken genauso wie beim Klettern. Beim Höhenbergsteigen sowieso. No pain, no gain. Ein wilder Hund, der 68jährige Oswald Oelz, das wussten wir. Spätestens seit seinem Bestseller „Mit Eispickel und Stethoskop“, 1999 erstmals erschienen, nun in sechster Auflage erhältlich. Seit 2006 ist der Autor pensioniert, also nicht mehr Chefarzt am Triemlispital in Zürich. Aber klettern und bergsteigen tut er noch, der Oswald, engagierter denn je, hat man das Gefühl. Tiroler Schafe züchten auf seinem Bauerngut am Bachtel im Zürcher Oberland auch, doch das ist nur ein Nebenjob. Ernsthafte Touren in den Bergen der Welt waren – und sind – sein Ding. Die Achttausender hat der Höhenmediziner sozusagen unter sich gelassen, umso mehr locken ihn die lotrechten Wände in Jordanien, Jemen und Kreta; die hohen Gipfels Afrika, wie vor Jahrzehnten schon; Trekkings im indischen Nordhimalaya, wo nicht jeder war und ist.
Davon erzählt der Oelz in seinem neuen Buch. Mit Bildern und Worten. Unbändig, tabulos, frech, was ja im Titel des Buches bereits anklingt: „Orte, die ich lebte, bevor ich starb.“ Man kann ihn nur bewundern und beneiden, diesen nicht mehr ganz jungen bergsteigenden Selbstdarsteller. Und eines muss man dem ruhelosen, rotweintrinkenden und rotpunktkletternden Rentner lassen: Mit Stift und Kamera kann er ebenfalls umgehen. Nochmals O-Ton OO:
„Simon [Messner; Göttibub von Oelz] wollte Erstbegehungen machen, ich wollte an meinem 68. Geburtstag einmal mehr beweisen, dass ich zwar zum alten, aber noch nicht zum definitiv verrosteten Eisen gehöre. Und so campierten wir einmal mehr in der Steinwüste unter dem Jabal Misht. Meine schmerzende Schulter hatte eine Spritze bekommen, und Horst hoffte, von Darmverschlingungen verschont zu bleiben. Ausserdem hatte ich für den Ernstfall genügend Morphium im Gepäck.
So stolperten im Februar 2011 ein Naturblonder und drei Friedhofsblonde auf dem inzwischen vertrauten Geissenpfad zu den grauen Platten von Al Kumeira. Einmal mehr feierten wir ein Felsfest in Tropflöchern, die eigens für unsere Finger gemacht schienen. Nur meine Füsse waren nicht mehr gewillt, während 20 Seillängen in enge Kletterschuhe gezwängt zu sein. Sechs Zehen können heftig protestieren. Dieser Protest verstummte, wenn die Tritte sehr klein und die Tropflöcher spärlich wurden – Adrenalin ist ein hervorragendes Mittel gegen Schmerzen. Nach 14 Stunden Laufen, Klettern, Abseilen und Laufen konnte ich am Abend meines 68. Geburtstags einmal mehr feststellen: ‚No pain, no gain.‘ Weil wir aus reiner Genusssucht mehrere unserer früheren Routen wiederholen wollten, fanden die von Simon erhofften Erstbegehungen nicht statt. Also müssen wir wieder hin und meine armen Füsse auch.“
Oswald Oelz: Orte, die ich lebte, bevor ich starb. AS Verlag, Zürich 2011, Fr. 58.-
Die Buchvernissage findet am Freitag, 27. Mai 2011, im Kletterzentrum Gaswerk in Schlieren/Zürich ab 18 Uhr statt. Der Autor stellt sein Buch vor und diskutiert mit Karin Steinbach Tarnutzer und Reinhold Messner am runden Tisch. www.as-verlag.ch, www.kletterzentrum.com