Wandern und lesen mit de Simoni und de Roulet

Zwei rucksacktaugliche Bücher für unsere Sommerwanderungen. Wir dürfen sie auch in der Badi lesen.

«Dieses Buch ist weder ein Reiseführer noch ein Ratgeber; dieses Buch ist ein Steinbruch. Eine Sammlung aus Gedanken und Erlebnissen anderer. Eine andere Auswahl an Texten mag zu anderen Einsichten führen.»

Und wohl auch zu anderen Wegen, über Grund oder im Grind. Wie auch immer: Das Zitat stammt aus dem rucksacktauglichen Buch „wandern/schreiben. Lektüren zum zeitgemäßen Reisen“ von Christian de Simoni. Darin befasst sich der Wahlheimat-Berner mit diesen Fragen: Warum zu Fuß gehen? Wann un warum begann man zu wandern? Wie beginnen wir heute? Wohin wandern? Was mitnehmen? Was erkennen? Und, nicht ganz nebensächlich: Was lesen? Die Literaturliste enthält einige unbekannte Werke. Zum Beispiel „Extremwandern und Schreiben. Ein kulturhistorischer Streifzug von Goethe bis Hesse“ von Birger Solheim. Ehrlich gesagt: Diese beiden Dichter stellte ich mir bisher nie als Extremwanderer vor. Dann schon eher die heutigen Autoren Franz Hohler und vor allem Sylvain Tesson. Sie fehlen im viereinhalbseitigen Literaturverzeichnis, aber diese Wanderlektüretipps nur nebenbei. Man kann nicht alles lesen, in den Rucksack packen schon gar nicht.

Im Kapitel „Wohin wandern?“ lese ich: „Die Schönheit ist oft in einem Detail, der Reichtum im Innern, in der Erinnerung oder in den Gedanken, in Texten anderer, an die wir beim Wandern denken, über die wir vielleicht nachdenken oder von denen wir spazierend tagträumen. Sehenswürdigkeiten lenken hiervor eher ab. In der Nähe einer Autobahnbrücke befindet sich vielleicht ein kleiner Weiher, auf dem Seerosen blühen. Obwohl man das Geräusch der vorbeirasenden Autos und Lastwagen hört, ist die Stimmung vielleicht gerade im Kontrast zur Hässlichkeit und dem Lärm der Zivilisation idyllisch, und es werden einem die Schönheit der Natur und ihre Fragilität zugleich bewusst.“ Sehr schön gesehen und geschrieben. Ein anderer Schweizer Autor wird diesen Kontrast oft erlebt haben.

Zweimal ist der Genfer Schriftsteller Daniel de Roulet in den letzten Jahren durch die Schweiz gewandert: Zuerst von Genf nach Rorschach, dann von Porrentruy nach Chiasso. 26 plus 32 Halb- und Tagesetappen, die wir dank zwei Karten gut nachvollziehen können. Allerdings nicht die genaue Route – wo der Weitwanderer über die Autobahn gerannt ist, das möchten wir ja nicht nachmachen… Begleitet wurde er von Werken bekannter und vergessener AutorInnen und Persönlichkeiten wie Dürrenmatt und de Saussure, Dunant und von Flüe, Vreneli und Agota Kristof. „Durch die Schweiz“ ist ein Wanderlesebuch, mit dem wir Seite um Seite, Schritt um Schritt in die Geschichte und Gegenwart, Landschaft und Literatur der Schweiz eintauchen. Unweit der Mündung der Ilfis in die Emme kreuzen sich die beiden Wege von de Roulet: „Ich webe ein helvetisches Kreuz, um mich an der Welt festzuhalten.“ Dass ein paar Stolperer zu verzeichnen sind, kann beim Schreiten und Schreiben passieren. So ruhte sich Friedrich Schiller nie am Vierwaldstättersee aus. Goethe hingegen schon. Aber wo war der Johann Wolfgang nicht? Er folgt dem Daniel Richtung Gotthard – mais bien-sûr!

Christian de Simoni: wandern/schreiben. Lektüren zum zeitgemäßen Reisen. Mit einem Nachwort von Katharina Bendixen. edition taberna kritika, Bern 2023. Fr. 18.-

Daniel de Roulet: Durch die Schweiz. Wanderungen durch ein Land und seine Erzählungen. Limmat Verlag, Zürich 2022. Fr. 32.-

Wildiheiw

Im Juli beginnt die Saison des Wildheuens. Das beste Buch dazu erschien im Oktober 2022 und ist seit dem März 2023 leider vergriffen.

Rudolf der Harras:
Wer seid Ihr? Wer ist Euer Mann?

Armgard:
Ein armer
Wildheuer, guter Herr, vom Rigiberge,
Der überm Abgrund weg das freie Gras
Abmähet von den schroffen Felsenwänden,
Wohin das Vieh sich nicht getraut zu steigen –

Rudolf der Harras zum Landvogt:
Bei Gott, ein elend und erbärmlich Leben!

Kurzer Dialog in der berühmtesten Gasse der Schweiz, zwischen der Bäuerin Armgard, deren Mann (zu Unrecht) im Gefängnis sitzt und deren Freilassung sie fordert, und dem Stallmeister von Hermann Geßler, dem Reichsvogt in Schwyz und Uri. Es die dritte Szene im vierten Aufzug, sie spielt in der hohlen Gasse bei Küssnacht am Rigi. Geßler geht nicht auf den Wunsch von Armgard ein, kann aber auch nicht weiterreiten, da sie sich in den schmalen Weg geworfen hat und ihr Schicksal beklagt: „O ich bin nur ein Weib! Wär‘ ich ein Mann, ich wüsste wohl was Besseres, als hier im Staub zu liegen –.“ In der Nähe aber steht ein solcher Mann. Er spannt seine Armbrust – und schiesst. Sein Name: Wilhelm Tell.

Ein indirektes Zusammentreffen zweier urschweizerischer Helden im 1804 uraufgeführten Schauspiel von Friedrich Schiller. Hier der bekannte Freiheitsheld, der, wenn es sein muss, nicht nur wilde Tiere trifft. Dort der arme Wildheuer, der sein Leben in stotzigen Hängen auf der Suche nach Gras riskiert, um das Vieh durch den Winter zu bringen und die Familie zu ernähren. „Wenn der Gämsjäger für Freiheit und Wagemut steht, so symbolisiert der Wildheuer Überlebenswillen und Tapferkeit.“

Lesen wir im Buch „Wildiheiw. Wildheuen in Nidwalden“ von Elsbeth Flüeler. Lassen wir die Nidwaldnerin, Geografin und Journalistin gleich selbst ihr jüngstes Werk vorstellen; im Oktober 2022 schrieb sie mir: „Es ist ein umfassendes Werk, 296 Seiten stark mit Dutzenden Geschichten über das Wildheuen, darüber, wie es überhaupt dazu kam, dass die Leute in die Planggen steigen; es bricht mit dem Mythos des armen Wildheuers und erzählt stattdessen vom ökonomischen Stellenwert des Wildheus; es schreibt eine Landschafts- und Landwirtschaftsgeschichte Nidwaldens und beschreibt, wie die Wildheuer heute das Wildheuen leben, dass es für sie weit mehr ist als eine Tradition, nämlich eine Kultur. Sieben Jahre habe ich an dem Buch gearbeitet, im Winter um die 100 Wildheuer befragt, in den Archiven der Korporationen und Gemeinalpen geforscht, die Planggen kartiert und im Sommer in den Planggen geholfen. Dabei habe ich, das hat mich sehr gefreut, eine achtsame Landwirtschaft entdeckt, eine die dem Boden Sorge trägt, das Heu wertschätzt und es gezielt einzusetzen weiss.“

Und Elsbeth fragte mich noch, ob ich Interesse hätte, ihr Buch als Ankers Buch der Woche vorzustellen. Aber sicher, antwortete ich. Bloss gab es da noch andere Bergbücher zum Besprechen. Ich nahm mir aber vor, „Wildiheiw“ im Sommer 2023 zu bringen, wenn die mutigen NidwaldnerInnen wieder in die schroffen Graswände steigen, mit der Sense, ja manchmal gar mit einem Stollenmäher, das Gras mähen und dann das Heu, zusammengebunden in Burdene, an einem Drahtseil ins Tal sausen lassen. Doch Mitte März erhielt ich von Elsbeth folgendes Mail: „Ich wollte dich nur informieren, dass mein Buch eigentlich ausverkauft ist. Vielleicht hat es aber da und dort noch ein Exemplar. Eine 2. Auflage wird es nicht geben, dazu müsste ich wieder Geld suchen. Es ist nun halt einfach ein Beitrag zur Wirtschaftsgeschichte Nidwaldens.“

Es ist mehr, viel mehr. Erstens wird nicht nur in Nidwalden wild geheuet, sondern auch anderswo in den (Schweizer) Alpen, zum Beispiel im schwyzerischen Muotatal. Zweitens erfahren wir halmgenau, wie das Wildheuen entstanden ist und immer noch mit viel Passion ausgeübt wird. Und drittens ist „Wildiheiw“ ein ganz starkes Bergbuch mit klugen, spannenden Texten (auch wenn man sich in den Nidwaldner Dialekt etwas einlesen muss) und mit eindrucksvollen Farbfotos von Severin Nowacki. Nur ist das Buch vergriffen, doch die Buchhandlung von Matt in Stans hat noch einen Restbestand von rund 40 Exemplaren. Und in Bibliotheken liegt es selbstverständlich auch auf. Der Tell aber lässt sich bequem im Netz lesen, www.projekt-gutenberg.org/schiller/tell/titlepage.html.

Elsbeth Flüeler: Wildiheiw. Wildheuen in Nidwalden. Mit Fotografien von Severin Nowacki und einer Übersichtskarte über die Planggen. Hier und Jetzt Verlag, Zürich 2022.

Wenn es dunkel wird

Auf den längsten Tag des Jahres am 21. Juni 2023 folgt die kürzeste Nacht. Grund genug, ein paar helle Stunden mit dunklen Geschichten zu verbringen.

Katharina deutete auf die Abzweigung. «Hier geht es zum Zinken. Aber es ist schon fast dunkel, und wir haben noch ein paar ziemlich knifflige Abschnitte vor uns. Deshalb lassen wir den Abstecher lieber aus», bemerkte sie zu Katharina und mit einem Blick auf die Armbanduhr. «Demnächst wird der Pfad schwieriger und exponierter. Schalte besser deine Stirnlampe ein und schau dir genau an, wo du hintrittst.»

Müssen wir immer, bei Tag und Nacht. Aber wenn das Licht schwindet, müssen wir noch ein wenig besser hinschauen, wo wir hintreten. Sonst könnte ein falscher Tritt der letzte sein. Allerdings: Heute Mittwoch, 21. Juni 2023, haben wir am längsten Licht. Und dann folgt die kürzeste Nacht des Jahres. Hier ein paar Lektüretipps für lange Tage.

Das obige Zitat stammt aus dem Allgäu-Krimi „Johannifeuer“ von Hans Compter. Die Ärztin Katharina Schiller untersucht mit der Rechtsmedizinerin Madeleine Wüsthoff einen Fall, der 15 Jahre zurückliegt. An einer Johannifeier zur Sommersonnenwende geschah in einer Alphütte, wohin sich Männer und Frauen vor einem bösen Gewitter retteten, ein furchtbares Verbrechen, die Schuldigen kamen ungeschoren davon. Doch nun wird Rache genommen. Im Mittelteil ist der Krimi etwas langatmig, doch gegen den Schluss und insbesondere am Ende wird er atemberaubend. Nichts für schwache Nerven und Lichtquellen.

Nach dem Essen trieb Giulias innere Unruhe sie wieder nach draußen. In Chur wäre sie eine Runde joggen gegangen. Die Dunkelheit hatte fast jedes Licht aus der Passanhöhe gesaugt. Nur die schneebedeckten Gipfel hoben sich vom dunklen Himmel ab. Ihr offenes Haar wehte im kalten Wind, sie schloss ihre Parka bis unters Kinn und zog die Kapuze über.
Als sie sich ein paar hundert Meter vom Kloster entfernt hatte und auf dieses zurückblickte, wurde ihr bewusst, dass sich dieser Anblick schon Menschen vor eintausend Jahren geboten hatte. Der Grosse Sankt Bernhard verinnerlichte zweifellos etwas Ureigenes, das war deutlich spürbar. Während Giulia in dieser unwirklichen Berglandschaft stand und den Anblick in sich aufsog, näherte sich vom Kloster kommend eine dunkle Gestalt.

An sechs Orten spielt „Bündner Sturm“ von Philipp Gurt, der neue Fall für die Churer Alpinpolizistin und Chefermittlerin Giulia de Medici: in Chur natürlich, dann in Pontresina und im Val Roseg (dort gibt der abschmelzende Gletscher die Leiche einer jungen Frau in einem roten Sommerkleid frei), am Zürichsee (mit seiner besseren Gesellschaft), auf dem Etzelpass (so heisst ein Krimi von Silvia Götschi; vgl. https://bergliteratur.ch/moerderische-berge/), in der Ajoie (dieser Zipfel am Nordwestrand der Schweiz wirft sonst kaum belletristische Schatten) sowie auf dem Grand Saint-Bernard. Ob nun die Gestalt, die sich vom Hospiz her Giulia nähert, helle oder dunkle Absichten hat, verrate ich nicht. Selber lesen (Seite 281).

Als Martin aufwachte, herrschte vollkommene Dunkelheit. Er lag nicht bequem, im Schlaf hatte er sich auf die Seite gerollt, dicht an die Zeltwand. Seine Uhr zeigte Viertel vor elf.
«Mark, aufwachen.»
Sein Zeltkamerad regte sich, und allmählich kamen eine Mütze und eine Sauerstoffmaske aus dem Schlafsack zum Vorschein. Mark zog die Maske herunter: «Wir haben schlechtes Wetter bekommen», sagte er.

Das gibt es, und dann wird es ungemütlich. Gerade in einem Zelt. Gerade wenn es so hoch oben steht, dass mit einer Sauerstoffmaske geschlafen wird. Und gerade, wenn sich die Bergsteiger nicht einig sind, über Auf- oder Abbruch. Wer schafft es als Erster bzw. als Erste auf den Gipfel – und wer wieder lebend nach unten? Nicht alle der Hauptfiguren in „Tod am Everest“ von Old Harald Hauge schaffen beides. Da wird eben nicht nur gegen Sauerstoffknappheit und Schlechtwettereinbrüche gekämpft, sondern auch gegen den Zeltnachbarn und die Seilgefährtin. Wir schauern mit, wenn wir den Thriller auf dem sonnenwarmen Balkon lesen, mit Kerzenlicht und einem Glas „Sherpa Everest“ der Domaines Chevaliers in Salgesch.

Ore 00.30
Mezz‘ora dopo la salite divenne un falsopiano. I piedi affondavano nella neve e rendevano la passeggiate ancora più difficoltosa.

Kein Spaziergang, mitten in einer kalten Februarnacht hoch über Aosta durch Schnee zu einem luxuriösen Chalet zu stapfen. Schon gar nicht für Vicequestore Rocco Schiavone, der definitiv lieber in Rom Fälle löste als im Tal mit den höchsten (und schönsten, aber das nur nebenbei) Alpengipfeln. Trotzdem muss Rocco das immer wieder machen, nicht nur in Stadt selbst, sondern auch an den Talhängen, ja manchmal auch in alpinen Hütten. Diesmal ist es ein Stall, der zur feinen Bleibe ausgebaut wurde, auf der „Quota 2.050 s.l.m.“. So heisst der Titel der Krimigeschichte von Antonio Manzini, die im Sammelband „Una notte in giallo“ zu finden ist. Darin gibt es noch weitere nächtliche Stories. Insgesamt 16 Giallo-Sammelbände sind bisher erschienen, immer wieder auch mit Rocco. Zum Krimi sagt man in Italien einfach „il giallo“. Das kommt daher, dass der Verlag Mondadori seit 1929 eine Kriminalromanreihe herausgibt, deren Covers gelb sind. Doch zurück bzw. hinauf zum Chalet auf 2050 Meter über Meer. Dort ist eine Feier ziemlich ausgeartet, fast so schlimm wie in der Alphütte unter dem Spieser (1651 m) im Allgäu.

Hans Compter: Johannifeuer. Ein Allgäu-Krimi. Rother Bergverlag, München 2023. € 14,90.

Philipp Gurt: Bündner Sturm. Ein Fall für Giulia di Medici. Kampa Verlag, Zürich 2023. Fr. 24.90.

Old Harald Hauge: Tod am Everest. Thriller. Benevento, Wals bei Salzburg 2022. Fr. 22.30.

Antonio Manzini: Quota 2.050 s.l.m. In: Una notte in giallo. Sellerio editore, Palermo 2022. € 16,00.

Wandern am Wasser

Nur Baden ist schöner als wandern. Jedenfalls im Sommer. Und wenn das Wasser nicht zu kalt oder zu reissend ist.

«Wandert es sich besser mit oder gegen den Strom? Das kommt ganz darauf an, wo man selber steht. Und was man wissen will: Woher kommt das Wasser und wohin fliesst es? Sozusagen Vergangenheit und Zukunft. Startet man bei der Quelle – oder bei einer der Quellen, die Emme zum Beispiel hat ja mehrere, – dann ist es immer wieder spannend zu erleben, wir aus einem Bächlein ein Bach und dann ein Fluss wird, durch die Einmündungen anderer Bäche. Andererseits ist es eben auch interessant, einem Fliessgewässer zu folgen, um zu schauen, wo es überhaupt beginnt. Der Stadtbach in Bern, der entspringt ja irgendwo da hinten und fliesst auch irgendwo durch – aber wo genau? Und dann gibt es noch weitere Gründe für eine Wanderung mit oder gegen den Strom. Bei der Urtene-Tour, die nur in der Wintersaison bachnah möglich ist, hat man, wenn die Sonne scheint, diese lieber im Gesicht. Den 16 Kilometer langen Sensecanyon hingegen durchwatet man besser mit dem Strom, nur schon deshalb, weil man zuweilen noch schwimmen kann.»

Bevor wir nun in die Sense tauchen – alle Infos in meinem Buch „WasserRauschen. Von der Aare zur Birs. 51 Wanderungen an bernischen Fliessgewässern“ (AS Verlag 2022) – hier fünf neue Wasserwanderbücher für die Schweiz, Österreich und Italien. Die Touren gehen nicht immer einem Fliessgewässer entlang, sondern auch Alpen(rand)seen bzw. dem Alpenrandmeer.

Fünferlei bedeutet Wasserschloss. Der Grösse nach: 1. Vorrichtung zur Druckregulation bei Drainagen (Medizin). 2. Betriebseinrichtung einer Wasserkraftanlage oder Wasserleitung (Ingenieurwesen). 3. Ein von Wasser umgebenes Schloss, wie Hagenwill, Hallwyl oder Landshut. 4. Die Gegend im Dreieck Brugg, Turgi und Vorderrein, wo mit Aare, Reuss und Limmat 40 % des Wassers der Gesamtfläche der Schweiz zusammenfliessen. 5. Die Schweiz überhaupt. Um Punkt fünf geht es im Führer „Wasserwanderungen. 17 Routen durch das Wasserschloss Schweiz“. Jürg Alean und Paul Felber stellen mit sehr viel Hintergrundwissen und mit allen nötigen touristischen Infos, mit tollen Fotos und guten Karten 17 Touren im unglaublich vielfältigen Wasser-Wunderland Schweiz vor. Vom Gletschersee im Urnerland bis zur Gletscherhöhle im Jura, von guten Thermalquellen im Bündnerland bis zu bösen Wildbächen in den Voralpen, von Badeflüssen und –seen im Tessin bis zu Walliser Suonen und Staumauern. Und in Basel und Fribourg erleben die WasserwanderInnen jeweils ganz besondere Wasserwelten. Den oben genannten Punkt 3 besuchen sie auf Tour 4.

Was gibt’s Schöneres, als an drückend heissen Sommertagen raus aus der Stadt zu kommen und irgendwo am Wasser neue Energie zu tanken? Ob abenteuerliche Schluchten oder lauschige Badeplätze, erfrischende Gumpen und tosende Wasserfälle, stille Bergseen oder naturnahe Gebirgsbäche – in Heike Bechtolds Führer „Vorarlbergs schönste Wasserplätze. 101 erfrischende Wander- und Ausflugstipps“ findet sich für jede Temperatur und jedes Temperament die passende Tour. Die Vorschläge reichen vom Naturdenkmal Sandplatte an der Bregenzer Ache oder dem Alten Rhein bei Lustenau zwischen Österreich und der Schweiz über die pittoreske Frödischschlucht, den Lehrpfad Quelltuff, den Subersach Wasserfall oder den eisblauen Gandasee bis zum Staubecken Latschau, zum Tschaggunser Aquawanderweg oder zum Kletterspass in der Röbischlucht. Nur das Titelbild mit der Kuh am Ufer des Langsees im Silbertal finde ich nicht so prickelnd: Dort werde ich jedenfalls nicht ins Wasser gehen…

Nass werden wir nicht im „Tiroler Wasser-Wanderbuch“ von Uwe Schwinghammer, der „60 Tourentipps zu den schönsten Seen, Klammen und Wasserfällen“ vorstellt. Denn auf keiner der zahlreichen Farbfotos sieht man jemanden baden. Klar, in den Gebirgsbächen kann man höchstens die Füsse hineinstellen. Aber der karibikgrüne Oberbergersee, da wäre eine Schwimmrunde doch wunderbar ! Der Autor empfiehlt sie sogar; nur besuchte er den See an einem prächtigen Herbsttag, die Lärchen schon gelb – sieht natürlich ebenfalls gut aus. Doch ein paar Badebilder erfrischten ein Wasserwanderbuch halt schon ein wenig.

Er ist der längste See Italiens und der siebtgrösste der Schweiz; ihr tiefster Punkt übrigens auch. Er hat drei Namen: Verbano, Lago Maggiore und Langensee; einst hiess er auch noch Lago di Stazzona. Erinnert irgendwie an Ascona, und der Lido dort dürfte für die Deutschschweizer die bekannteste Spazierstrecke in ihrer Sonnenstube Ticino sein. Nicht zufällig führt genau dorthin die erste Tour im Wanderführer „Wege zum Wasser. Lago Maggiore – Lago d’Orta“. Dagmar Beckmann und Christoph Potting, die ihr beneidenswertes Leben zwischen Frankfurt am Main, der Bretagne und dem Lago d’Orta verbringen, stellen von neun Standorten aus 29 Wanderungen rund um die beiden Seen sowie am Lago di Varese vor, mal direkt am Strand, mal hoch über den Seespiegeln und teilweise auch im Hinterland, aber immer zum Thema Wasser. Die neun Hintergrundkapitel befassen sie ebenfalls damit, so zu Wasserkraft und Schifffahrt, Seemanagement oder Fischerei. Interessante Lektüre, abwechslungsreiche Wanderungen, feine Gastro- und Unterkunfttipps, schöne Fotos. Leider sind nicht alle Touren mit öffentlichen Verkehrsmitteln machbar, was bei einer zweiten Auflage verbessert werden sollte, auch wenn dann das automobile Wasserfallhüpfen im Hinterland von Laveno wegfällt.

Finale: Das ist das Zauberwort für Kletterer. Rund um das Städtchen Finale Ligure an der ligurischen Küste zwischen Savona und Albegna, zwischen Mittelmeer und Alpen, liegt eines der bekanntesten und grössten Sportklettergebiete Italiens. Die unscheinbare Hügellandschaft des Hinterlandes hält jede Menge Felsen in allen Steilheiten bereit, weit über 1000 Routen finden sich im Umkreis von nur wenigen Kilometern. Aber auch für MountainbikerInnen ist Finale Ligure ein Mekka, wenn sie einigermassen sicher auf den Pedalen stehen. Und was machen die Wandersleut? Einfach auf der Strandmole hocken, Füsse und Seele baumeln lassen? Ma no! Oder höchstens nach einer der sonnigen Wanderungen, die Marco Tomassini in „Zu Fuss durch Finale. 50 Touren zwischen Borgio Verezzi, Finale Ligure und Noli“ vorschlägt, an der Küste und im Hinterland. Im Januar 2011 unternahmen wir dort zwei sonnige Touren, zuerst zum Monte Capo Noli und dann zum Monte Caprazoppa, je etwa 280 Meter über dem Ligurischen Meer. Ins Tourenbuch notierte ich: „Sehr empfehlenswerte Küstenwanderung von Varigotti zum Monte Capo Noli, direkt an der Steilküste, hoch oberhalb der Strasse und dem Wasser, an dem man entlang gefahren ist. Bellissimo!“

Jürg Alean, Paul Felber: Wasserwanderungen. 17 Routen durch das Wasserschloss Schweiz. Haupt Verlag, Bern 2023. Fr. 38.-

Heike Bechtold: Vorarlbergs schönste Wasserplätze. 101 erfrischende Wander- und Ausflugstipps. Tyrolia-Verlag, Innsbruck 2023. € 28,00.

Uwe Schwinghammer: Das Tiroler Wasser-Wanderbuch. 60 Tourentipps zu den schönsten Seen, Klammen und Wasserfällen. Tyrolia-Verlag, Innsbruck 2023. € 25,00.

Dagmar Beckmann, Christoph Potting: Wege zum Wasser. Lago Maggiore und Lago d’Orta. Rotpunktverlag, Zürich 2023. Fr. 37.-

Marco Tomassini: Zu Fuss durch Finale. 50 Touren zwischen Borgio Verezzi, Finale Ligure und Noli. Edizioni Versante Sud, Milano 2022. € 32,00.

Was Steine und Sterne erzählen

Zwei Bücher, mit denen sich die (geologische) Welt der Berge besser verstehen lässt. An ganz unterschiedlichen Orten in Europa.

«Wir verabreden uns für einen Augustabend in den Cevennen, einer der schönsten Regionen Frankreichs, um nächtliche Panoramen zu betrachten. Carol Reboul und ihr Lebensgefährte haben mich dazu eingeladen, in der Abenddämmerung den 1421 Meter hohen Mont Bougès zu besteigen. Wir treffen uns auf dem Col du Sapet und wandern los, als die Sonne bereits tief am Himmel steht. Wir folgen Granitpfaden, die von krummen Buchen gesäumt sind, und unterhalten uns dabei über die Nacht. Im Vergleich zur Gâtine, wo ich herkomme, gibt es hier Chirons oder Granitblöcke im Überfluss. Die Gegend muss reich an Geschichten sein.»

Ist sie. Und ziemlich unbekannt. Das kleine Gebirgsmassiv des Bougès, auch Montagne du Bougès genannt, wird im Norden vom Massiv des Mont Lozère, im Südwesten vom Massiv des Mont Aigoual und im Westen von der Causse de Sauveterre eingerahmt. Der höchste Gipfel ist das Signal du Bougès. Die Gâtine Poitevine, wo die Autorin Blandine Pluchet herkommt, kennt man hierzulande auch nicht unbedingt. Doch auch dort warten spannende Geschichten, mit dem Felsenmeer bei Largeasse und offenbar dem Nabel der Welt – Orte, die auf der Übersichtskarte im Sachbuch der französischen Physikerin zu finden sind, wie das Schneefernerhaus an der Zugspitze oder das Jungfraujoch. Das Buch heisst „Die Vermessung der Berge. Eine Wanderung zur Entdeckung der Weltgesetze“, der Originaltitel lautet nur leicht bescheidener „Le grand récit des montagnes. Une randonnée scientifique à la découverte des lois du monde“. Die wissenschaftliche Wanderung findet, mit Ausnahme der nächtlichen Tour aufs Signal du Bougès, mehr symbolisch statt. Blandine Pluchet begibt sich an unterschiedlichen Stationen und mit verschiedenen Experten auf Spurensuche in Europa, wo zu verschiedenen Themen wie Geologie, Meteorologie, Glaziologie, Ozeanologie, Astrologie etc. auf höchstem Niveau geforscht wird, im Zeitalter der menschgemachten Klimaerwärmung aktueller denn je.

Darüber berichtet Blandine Pluchet, spannend und einfühlsam, manchmal auch geschwätzig, zuweilen für Laien knapp verständlich, ab uns zu auch banal. Den Ausflug aufs Signal du Bougès schliesst sie mit diesem Satz ab: „Die Dunkelheit ist voller Leben.“ Stimmt natürlich. Andere Aussagen sind leider zu revidieren: So ist der Strahler Jacques Balmat nicht „der erste französische Alpinst überhaupt“. Erstens stand er am 8. August 1786 nicht alleine auf dem Mont Blanc, sondern zusammen mit Michel-Gabriel Paccard (er bleibt freilich unerwähnt), und zweitens bestiegen Jean-Marie Couttet und François Guidet bereits am 17. September 1784 den Dôme du Goûter (4304 m) – die erste Besteigung eines Viertausenders überhaupt. Und noch eine Kritik: Die in Magenta gehaltenen Illustrationen von Laëtitia Locteau sorgen zwar für eine schöne Einheitlichkeit im Buch, strahlen teils aber eine gewisse Beiläufigkeit aus. Im Nachkapitel mit dem Signal du Bougès sieht man ein paar Baumsilhouetten und ein paar Sterne am Himmel, im Text nebenan ist von der Scheibe von Nebra die Rede, der ältesten bisher bekannten Darstellung des Himmelsgewölbes. Wie die wohl aussieht? Zum Glück gibt es Wikipedia.

Genug gelästert. Ihr habt bestimmt gemerkt, dass mich die „Wanderung zur Entdeckung der Weltgesetze“ nicht vom Sofa gerissen hat. Das tut die „Geologische Wanderung vom Gornergrat zum Riffelberg“ schon eher. Der Titel dieses rucksacktauglichen Führers ohnehin: „Zermatt: Safari im Meer“. Diese Wanderung habe ich schon ein paar Mal gemacht, doch nun muss ich sie wiederholen, Schritt für Schritt und Stein für Stein, weil die Geologen Michel Marthaler und Micha Schlup in Zusammenarbeit mit Nicolas Kramar mit vielen Fotos, Tabellen, Plänen und Karten erzählen, wie die Alpen entstanden sind, wo der Meeresboden wie gefaltet wurde, warum die Felsen so verschieden farbig leuchten. Selbstverständlich wird auch das Matterhorn, dieser Fixpunkt beim Bergabgehen zum Riffelberg, Schicht um Schicht analysiert. Der Cervino ist der stärkte Kontrast zum Signal du Bougès: hoch und spitzig der eine Gipfel, tief und rund der andere.

Blandine Pluchet: Die Vermessung der Berge. Eine Wanderung zur Entdeckung der Weltgesetze. Bergwelten Verlag, Wals bei Salzburg 2023. € 28,00.

Michel Marthaler, Micha Schlup: Zermatt: Safari im Meer. Geologische Wanderung vom Gornergrat zum Riffelberg. Éditions Loisirs et Pédagogie, Le Mont-sur-Lausanne 2023. Fr. 18.-

Vom alten Chalet zum Berghau

Die Schweiz ohne Chalets – undenkbar. Sehnsucht und Refugium in den Bergen und Köpfen. Auf nach Bern, mit aktueller Lektüre.

Là-haut sur la montagne, croula le vieux chalet.
La neige et les rochers
s’étaient unis pour l’arracher.
Là-haut sur la montagne, croula le vieux chalet.

Mitgesungen beim Lesen? Hoffentlich! „Le Vieux Chalet“ ist eines der bekanntesten Schweizer Volkslieder, 1911 geschrieben von Abbé Joseph Bovet, übersetzt in 17 Sprachen, darunter Chinesisch und Japanisch. Vier Strophen über einen Haustyp, den die Schweiz, ja die halbe Welt so liebt. Hier die zweite, in der das Berghaus von Schneedruck und Steinschlag zerstört wird. Aber der Hirte Jean baut es wieder auf, schöner als zuvor: „Là-haut sur la montagne, l’est un nouveau chalet.“

Wer mehr zum Chalet wissen will, muss nicht auf den Berg dort oben steigen, sondern aufs Feld dort drüben gehen, in die Schweizerische Nationalbibliothek (NB). Bis am 30. Juni 2023 ist die Ausstellung „Chalet. Sehnsucht, Kitsch und Baukultur“ zu besuchen. Sie gibt Antwort auf die Frage, was eigentlich ein Chalet ist. Ist es mehr als ein „altes Hüttlein“, wie „Le Vieux Chalet“ auf Deutsch tönt? Gibt es Eigenschaften, die ein Holzhaus zu einem Chalet machen? Oder ist ein solches Haus mit einem überstehenden Dach und mit ein paar Geranien auf dem Laubsägeli-Balkon einfach ein Sinnbild der Sehnsucht nach alpiner Natur, die allerdings auch zerstörerisch sein kann? Das erfahren wir auf dem Kirchenfeld in Bern, „augenzwinkernd, informativ und unterhaltsam“, wie die NB schreibt. Im vergangenen Winter war die Ausstellung im Gelben Haus in Flims zu sehen. An beiden Orten lag bzw. liegt ein A3 grosser Papierbogen auf, mit dem man sich sein eigenes Chalet basteln kann. Viel Fingerfertigkeit!

Wer jetzt noch einen ganz besonderen Chalet-Roman lesen möchte, sollte zu „Berghau“ von Angelika Waldis greifen. Berghau – da fehlt doch das S? Genau. Und das kam so: „Zwei Jahre hatte Sepp jetzt den Berghau. Eigentlich wollte er Berghaus Sepp über die Tür malen, aber dann stießen zwei Ziegen die Farbdose um. Dann halt Berghau.“ Passt. Denn dem Berggasthaus irgendwo oben in den Schweizer Alpen, nur zu Fuss erreichbar, kommt eines Tages noch mehr abhanden als ein Buchstabe. Der Klimawandel haut den Berg sozusagen entzwei, auf dem es steht, und damit auch das halbe Haus. Aber es steht noch und wird zum Refugium für zehn Leute, die vom Bergsturz überrascht wurden. Ein Abstieg ins Dorf ist nicht mehr möglich, die Seilbahn in der Nähe läuft nimmer, die drahtlose Verbindung ist gekappt. Zehn ganz unterschiedliche Personen eingeschlossen in einem halb kaputten Haus, zwei Tage und zwei Nächte, bis endlich der rettende Hubschrauber kommt. Wie im Permafrost tauen Schichten und Sachverhalte auf, verschieben sich Gefühle und Gewissheiten, nicht unbedingt zum Besseren. Ein atmosphärisch und sprachlich dichter (Berg-)Roman. Der Berg ruft nicht nur, er kommt auch, immer mehr sogar, und mit ihm die Chalets, ob alt oder neu.

Chalet. Sehnsucht, Kitsch und Baukultur. Ausstellung in der Schweizerischen Nationalbibliothek, Bern; 10.3. – 30.6.2023, Montag – Freitag 9 – 18 Uhr, Eintritt frei. Kuratorenführung am 2.5., 17.30 Uhr. www.nationalbibliothek.ch Mehr zum alpinen Blockbau: https://kleinmeister.ch/de/chalets-auf-allen-bildern

Angelika Waldis: Berghau. Roman. Atlantis Verlag, Zürich 2023. Fr. 30.- Lesung in der Kellerbühne St. Gallen, Montag, 22. Mai, 20 Uhr; www.kellerbuehne.ch/sites/details.php?detail=2023-05-22

Klettern in Bern, Iran und anderswo

Klettergeschichte(n), in Führern, einem Film und im Gespräch. Letzteres gerade auch für Nicht-Kletterer zum empfehlen.

Nasim Eshqi, willkommen in der Schweiz, wir haben viele tolle Berge hier, wie Sie wissen. Das muss eine einzige grosse Spielwiese für Sie sein.
Ja, Länder mit vielen Bergen sind die besten. Ich war schon auf einigen Klettertouren in der Schweiz, ich erhielt in den vergangenen Jahren im Sommer jeweils ein Visum für drei Monate nach Europa, um zu klettern – unter anderem in Chamonix oder am Furkapass.

So beginnt das Samstaginterview vom 22. April in der Berner Tageszeitung „Der Bund“, das Chefredaktorin Isabelle Jacobi mit der iranischen Profikletterin Nasim Eshqi führte. Titel des hochspannenden Gesprächs zwischen Sport und Politik: „Ich verstand erst später, wie unterdrückt ich war.“ Eshqi, 41 Jahre alt und die bekannteste Kletterin des Irans, ist zu einer wichtigen Stimme des Protests gegen das Regime in Teheran geworden. Im letzten Herbst kehrte sie nach einer dreimonatigen Kletterreise in Europa nicht nach Iran zurück und hat nun in Italien Asyl erhalten. Ihre Antwort auf die letzte Frage, ob sie glaube, je in ihre Heimat zurückkehren zu können: „Ich bin optimistisch. Ich denke, wir werden uns im Iran mehr Freiheit erkämpfen können. Aber das jetzige Regime klammert sich mit aller Kraft an die Macht, denn sie können nirgendwohin gehen. Sie sagen: Wir werden alles in Schutt und Asche legen. Es wird schlimmer werden, bevor es besser wird.“

Klettern kann mehr sein als die Suche nach dem nächsten Griff, dem nächsten Tritt. Ein kleines Beispiel nur, nicht vergleichbar mit den lebensgefährlichen Taten und Äusserungen von Nasim Eshqi abseits der Vertikalen. Mit „Kanal im Rücken“ eröffnete Wolfgang Güllich 1983 im Altmühltal die zum damaligen Zeitpunkt schwerste Sportkletterroute der Welt. Der Routenname bezieht sich nicht auf eine Verengung des Wirbelkanals, sondern auf den Rhein-Main-Donau-Kanal, eine Grossschifffahrtsstrasse, die von 1960 bis 1992 gebaut wurde und umweltpolitisch höchst umstritten war. In seinem südöstlichen Teil führt der Kanal durch das Altmühltal, das für seine Kletterfelsen weltberühmt ist. Und so wird „Kanal im Rücken“ im neuen Panico-Kletterführer „Bayerischer Jura“ präzis beschrieben: „Weltweit erste Route im Grad 8b/10. Hart 9 im ersten Teil, dann Crux mit ultraweitem Blockierer in schmächtiges Fingerloch. Der Rest spielt sich im unteren 8. Grad ab. So einfach ist der 10. Grad. Route mit absolutem Kultstatus!“

Noch ein Wort zum Titel des Kletterführers. Bayerischer Jura?! Der Jura krümmt sich doch entlang von Frankreich und der Schweiz. Meinte ich jedenfalls. Achim Pasold, Gründer und Direktor des Panico Alpinverlages, vermutete in einem Mail an mich „ein Fall von Schweizer Binnensicht“ und holte dann zu einer geografischen Erklärung aus: „Nach unserer Vorstellung zieht sich der Jurabogen vom Basler Jura weiter über die Schwäbische Alb bis zum Nördlichen Frankenjura. ‚Bayerischer Jura‘ ist aber in der Tat ein selten benutzter Begriff, in der Vorauflagen hieß dieser Kletterführer noch ‚Südlicher Frankenjura‘.“ Da nun aber in der Neuausgabe alle vorgestellten Klettergebiete, mit dem Altmühltal als Herzstück, im Freistaat Bayern liegen, drängte sich der neue Name geradezu auf.

Apropos Namen: Dieses Mineralwasser habt Ihr bestimmt schon mal getrunken – San Pellegrino. Ich wusste, dass es in Italien abgefüllt wird (und nicht in Vevey, weil zum Nestlé-Konzern gehörend…). Nun stolperte ich im Kletterführer „Valli Bergamasche“ über den Ort San Pellegrino Terme, der sich im Val Brembana in der Provinz Bergamo befindet. Die bergsportlichen Vorzüge lesen sich so: „Bequemer Klettergarten, wo das ganz Jahr über, je nach Uhrzeit, Klima und Ausrichtung, geklettert werden kann. Der Sektor San Pellegrino Nuovo liegt kurz oberhalb des Sektors Storico. Die Kletterei ist meist sehr fingerlastig, auf Leisten mit dem einen oder anderen Loch in vertikalen oder leicht überhängenden Platten.“ Also kein Ort für Warmduscher und Stilles-Wasser-Trinker! Die Routen heissen „Stop and go“ oder „Mi scusi signora“; beide sind „molto bella“. Nichts wie hin! Aber vorher noch ins Alpine Museum in Bern, zum Film und Gespräch mit der Neo-Italienerin Nasim Eshqi.

Eberhard Zieglmeier: Kletterführer Bayerischer Jura. Altmühltal, Donaudurchbruch & Donautal, Labertal, Naabtal und Seitentäler. Panico Alpinverlag, Köngen 2022. € 44,80.

Yuri Parimbelli: Valli Bergamasche. Val Seriana, Val Brembana, Val di Scalve, Lago d’Iseo. Falesie/Klettergärten. Edizioni Versante Sud, Milano 2022. € 35,00.

«Climbing Iran» – mit Nasim Eshqi. Alpines Museum Bern, Freitag, 28. April 2023, 17.30 Uhr. Im Anschluss an den Film ist die Kletterin im Gespräch mit der Journalistin Isabelle Jacobi (Chefredaktorin «Der Bund»). Anmeldung unter booking@alpinesmuseum.ch.
Das „Bund“-Gespräch mit Nasim Eshqi ist hier zu lesen: https://epaper.derbund.ch/article/46/46/2023-04-22/2/131407652
Am Dienstag, 25. April 2023, wird der Film auch in Lausanne gezeigt, am Sitz der SAC-Sektion Les Diablerets; https://cas-diablerets.ch/soiree-nasim-eshqi/

Eine neue Zeitschrift, mit einem neuen Gipfelverzeichnis

Ein Muss für alle Gipfelstürmerinnen, Engadinliebhaber und Sporttreibenden: die erste Ausgabe der druckfrischen Zeitschrift „Les Sports Modernes“.

«Eine besondere Kategorie bilden diejenigen Erstbesteiger, die den von ihnen eroberten Gipfel einem weiblichen Familienmitglied widmeten, wie bei der Punta Alessandra (3268 m) zu Ehren von Alexandrine von Rydzewsky-von Nordmann (1847–1924). Eine weitere vorher namenlose Spitze benannte Umberto Balestreri (1889–1933), ein bekannter italienischer Alpinist (er starb in einer Spalte des Morteratschgletschers) und Jurist (er verweigerte die Mitgliedschaft im Partito Nazionale Fascista), nach seiner Tochter; die Punta Maria Luisa (ca. 3317 m) liegt im Grenzkamm zwischen dem Mont Vélan und der Dent d’Hérens. Der Schweizer Führerautor Marcel Kurz (1887–1967) war damit nicht zufrieden: «Malgré toute la sympathie de l’auteur pour le cher disparu et sa petite fille, il est impossible d’admettre de nouveaux noms personnels sur notre frontière.» Er schlug den Namen Petit Epicoune vor. Maurice Brandt (1927–1999), Nachfolger von Kurz für die SAC-Führer zu den Walliser Alpen, bekräftigte das Urteil im Führer von 1987; in der Auflage von 1999 fehlt es. Dass sowohl Marcel Kurz wie Brandt heute «ihre» Gipfel erhalten haben, steht auf einem separaten Blatt… In der aktuellen, von anderen Autoren verfassten Ausgabe von 2014 stehen die Namen Petit Epicoune und Punta Maria Luisa gleichberechtigt nebeneinander. Nun fehlt nur noch die Aufnahme auf die Landeskarte, wenigstens mit einer Kote.»

Die Punta Maria Luisa ist einer der 200 helvetischen Personenbergen, die erstmals erfasst und zusammengestellt wurden, von der Punta Adami, einem Fast-Dreitausender im Rheinwald, bis zur Zumsteinspitze, dem dritthöchsten Gipfel der Schweiz. Es sind oft ziemlich unbekannte Gipfel, die auf der Landeskarte verzeichnet sind oder auch nicht. Wer versteckt sich hinter der Pointe Morin (die Geschwister Micheline und Jean-Antoine), der Punta Carducci (italienischer Literaturnobelpreisträger) und dem Paulcketurm (Skipionier und Nazi)? Unter den personifizierten Gipfeln hat es starke (Pointe Marie-Christine) und brüchige (Agassizhorn), bescheidene (Dunantspitze) und brave (Eduardsruh), heilige (Cima Mosé) und profane (Punta Michele).

Italien hat mit 34 Personengipfeln auf der Grenze (17%) den grössten Anteil an den 200 gefundenen Gipfeln. Diese Vorrangstellung hat drei Gründe. Erstens ist die Grenze der Schweiz zu Italien mit 800 Kilometern nicht nur die längste, sondern auch noch fast ausschliesslich gebirgig; entsprechend viele Gipfel konnten und mussten da einen Namen erhalten. Zweitens benennt man in Italien Gipfel und Hütten gerne mit Namen von Personen. Und drittens ist das Grenzgebirge in mehreren schweizerischen und italienischen Führerwerken bestens dokumentiert, wodurch die Personengipfel eine Legitimation erhalten, auch wenn der Name auf der schweizerischen Landeskarte (noch) fehlt, wie die Punta Maria Luisa.

Das metergenaue Verzeichnis aller Personenberge der Schweiz (inkl. Quellenangaben) ermöglicht einen neuen Blick auf das helvetische Gipfelterritorium und die Toponomastik des Landes. Die von mir zusammengestellte und kommentierte Liste findet sich in der ersten Ausgabe der neuen, mehrsprachigen Zeitschrift „Les Sports Modernes“, die dem Thema „La montagne: territoire du moderne?“ gewidmet ist.

Das Fragezeichen steht nicht zufällig. Denn: Sind die Berge modern? Oder sind sie veraltet? Wenn man in die Geschichte eintaucht, erhält man kontrastreiche Antworten. Auf der einen Seite gilt das Gebirge als Ort der Isolation, des Rückzugs, ja der der Rückständigkeit und des Konservatismus. Andererseits erweisen sich die Berge aufgrund ihrer Enge und eigenen Ressourcen als Vorreiterin, insbesondere bei der Erprobung und Umsetzung von Formen der Demokratie. Und das Aufkommen des Tourismus, der Sanatorien und des Wintersports entspricht ebenfalls, wie ein Echo, dieser Aufwertung der Berggebiete und der neuen Blicke auf diese steile Welt.

Grosse Beiträge in der Nr. 1 der sporthistorischen Zeitschrift behandeln Wanderlust und Wilderness, die Gründung des Alpine Club of Canada, das Sportklettern und den Everest. Geografischer Schwerpunkt ist das auch auf dem Cover verankerte Engadin. Dazu gibt es auf den 244 Seiten spannende Seitenpfade und Gespräche, Institutionen und Bücher zu entdecken. Die einmal jährlich erscheinende Revue „Les Sports Modernes“ wird von der Association pour la valorisation des archives et de l’histoire des sports publiziert.

Die Vernissage findet am Donnerstag, 20. April 2023, in der IDHEAP-Aula der Université de Lausanne statt. Das Gebäude liegt nördlich der Colline de Dorigny (410 m). Auf diesem Hügel befindet sich ein drei Meter hoher Obelisk zu Ehren von Albrecht von Haller und seinem Sohn Rudolf Emanuel. Warum heisst in den Schweizer Alpen eigentlich kein Gipfel nach Albrecht, dem heiligen Vater der Begeisterung für die (Schweizer) Alpen und des Alpentourismus? Der Hallerbärg (570 m) ob dem schaffhausischen Schleitheim kann es ja nicht sein.

Christophe Jaccoud, Grégory Quin (Hrsg.): La montagne: territoire du moderne ? Les Sports Modernes n°1, Société, Culture, Temporalité, Territoire. Éditions Alphil-Presses universitaires suisses, Neuchâtel 2023. Fr. 35.- www.alphil.com/livres/1296-1547-les-sports-modernes-numero-1-2023.html#/1-format-livre_papier

PS: Die Colline de Dorigny ist zur Zeit, wie am 20. April 23 spätnachmittags festgestellt wurde, eine Baustelle, wegen der Erweiterung der Bibliothèque de l’UNIL am Südfuss des Hügels. Der Obelisk ist deshalb nicht zugänglich, wohl aber der Gipfel von Osten.

Heilige und geheimnisvolle Berge

Zwei Bücher zu besonderen Bergen: ein Geschichtsbuch zu heiligen, ein Atlas zu geheimnisvollen. Teilweise sind es die gleichen Gipfel.

«Am meisten heilige Berge gibt es im Tibet. Schriftliche Quellen machen deutlich, dass Eremiten und Asketen dort auf das Hochland zogen. Sie beteten Berge an und meditierten vor ihnen. Sie erzählten, dass auf ihnen Götter wohnen. Aus diesen Geschichten entstanden spirituelle Reiseführer, die Wallfahrten und Rituale im Angesicht eines Bergs auslösten. So erfolgte die religiöse Aufladung eines Bergs, die eine Community von Gläubigen unter sich teilte.»

Ausschnitt aus dem Interview mit Jon Mathieu zu seinem neuen Buch „Mount Sacred. Eine kurze Globalgeschichte der heiligen Berge seit 1500“. Das Gespräch mit dem Zitattitel „Für die Kirche war die Anbetung von Bergen eine Sünde“ erschien am 24. Januar 2023 in der Berner Tageszeitung „Der Bund“, illustriert mit einem Sonnenaufgangsfoto des Gipfelkreuzes auf dem Bietenhorn ob Mürren. Nochmals ein Zitat von Mathieu, emeritierter Titularprofessor für Geschichte mit Schwerpunkt Neuzeit an der Universität Luzern und bekannt als Gebirgsforscher und Historiker der Alpen: „Im katholischen Kanton Freiburg wimmelt es von Gipfelkreuzen. Einige stehen aber auch auf Berner Bergen.“ Heilig sind die meisten von diesen Gipfeln nicht. Anders in Italien. Im Jubiläumsjahr 1900 rief Papst Leo XIII. dazu auf, auf 19 Gipfeln in Italien, vom Monviso im Piemont bis zum Monte San Giuliano in Sizilien, ein grosses Kreuz zu erstellen – für jedes Jahrhundert seit der Geburt von Jesus ein Kreuz. Es kamen zahlreiche weitere dazu, wie dasjenige auf dem Cervino.

Natürlich steht nicht auf jedem heiligen Berg ein Kreuz. Aber heilige Berge stehen überall auf der Welt: der Mount Kailash in Asien, die Black Hills mit den Präsidentenköpfen in Nordamerika, der Uluru in Australien oder der hierzulande nicht so bekannte Ol Doinyo Lengai in Tansania. Ihnen wurde und wird Heiligkeit zugesprochen, was sich in Gebeten, Meditationen und Wallfahrten äussert, wobei letztere heute oft mehr touristischen als religiösen Charakter haben. Wie es dazu kam, dass Berge heilig gesprochen wurden, enthüllt Jon Mathieu eindringlich und einfühlsam in „Mount Sacred“. Diesen Berg gibt es so nicht in der Natur und auf keiner Landkarte; er ist ein virtueller Berg, ein Buchberg. Und passt irgendwie zum Hügel, der am 8. Juni 1794 auf dem Pariser Marsfeld (vor dem heutigen Eiffelturm) aufgeschüttet wurde, zur Feier des „höchsten Wesens“. Nur ein Jahr später, nach einer blutigen Hinrichtungswelle, wurde dieser künstliche Berg als „Monument des Terrors“ bezeichnet – und eingeebnet. Andere künstliche Berge, wie zum Beispiel die Schlackenhügel im Ruhrgebiet, blieben erhalten – und werden kaum als heilig bezeichnet. Und doch: Auf der Knappenhalde (101 m) in Oberhausen, auch Monte Schlacko genannt, findet immer an Auffahrt ein Gottesdienst statt.

In drei grossen Schritten nimmt uns Jon Mathieu, der in Burgdorf an der Alpenstrasse wohnt, auf die Reise zu heiligen Bergen mit. Nach der Anreise in zwei Etappen macht er Halt an wichtigen Stationen, wie am Tai Shan, dem kaiserlichen Ostberg in China, oder dem Paektusan in Nordkorea, und fragt zuletzt nach der Zukunft für heilige Berge, gerade heute in der Zeit von Kolonialismus und Antikolonialismus, von Umwelt- und Klimaschutz. Eine faszinierende, tief schürfende, bestens dokumentierte Lektüre zu den wichtigen Gipfeln der Heiligkeit. Am besten zu lesen selbstverständlich auf einer sakralen Erhebung, zum Beispiel auf dem Michaelskreuz mit der Gipfelkapelle (795 m). Oder auf Masada, einem Gipfelplateau am Rand der Judäischen Wüste, mit der Palastfestung von Herodes, 43 m.ü.M, aber 473 Meter über dem Toten Meer.

Der Masada-Gipfel ist der erste Berg im „Atlante dei monti arcani. Storie e miti del mondo verticale”. Albano Marcarini stellt 88 mysteriöse, geheimnisvolle Berge vor, immer auf einer Doppelseite Text/topografische Karte sowie zusätzlich mit ein paar touristischen Infos im Anhang. Italien ist mit 28 Gipfeln, wovon drei an der Grenze zur Schweiz (Badile, Cervino, Monte Rosa) stehen, mit Abstand am besten vertreten. Verständlich, weil sich der Atlas vor allem an die italienische Kundschaft richtet. Für GipfelstürmerInnen aus der Schweiz hat das aber den grossen Vorteil, dass diese bequemer erreichbar sind als zum Beispiel der heilige Berg der Massai, der Ol Doinyo Lengai (2878 m), der Sri Pada (2243 m) auf Sri Lanka oder der Kalkajaka (465 m) in Australien; zu letzterem lesen wir: „L’acesso è vietato.“ Deshalb als nächste oder übernächste Ziele folgende besonderen Berge im Nachbarsland anpeilen: 2. Monte Nuovo (133 m), 8. Rocca di Cerbaia (367 m), 9. Monte Calamita (413 m), 11. Monte delle Formiche (638 m), 13. Monte Soratte (691 m), 19. Monte Pirchiriano (962 m), 21. Pietra di Bismantova (1047 m). Den Namen der Nummer 21 kannte ich, und oben stand ich auch schon. Viel Freude und Ehrfurcht beim Besteigen. Und beim Lesen.

Jon Mathieu: Mount Sacred. Eine kurze Globalgeschichte der heiligen Berge seit 1500. Böhlau Verlag, Wien 2023. € 35,00.

Albano Marcarini: Atlante dei monti arcani. Storie e miti del mondo verticale. Ulrico Hoepli Editore, Milano 2022. € 24,90.

Berner Oberland – Schlösser, Seen & Seelen

Die Wiege der Alpentourismus wird immer wieder neu ausstaffiert. Drei überraschende Publikationen schaukeln mit.

«Wer kennt den rund zehn Meter hohen, senkrechten Felsabsturz im Rustwald. Er war ein idealer Schutz gegen Norden für die am leicht geneigten Südhang gelegene prähistorische Siedlung. Wenn wir davon ausgehen, dass in der Gegend von Lattigen bei Spiez in früherer Zeit etliche kleinere und grössere Seen existierten, kann es nicht verwundern, wenn frühzeitliche Menschen an diesem Ort ihre Wohnhütten bauten.»

Durch den Rustwald bin ich schon gewandert, über seine Anhöhen hinweg. Aber den Felsabsturz nahm ich nicht wahr, und von einer prähistorischen Siedlung wusste ich gar nichts. Sieht man nicht nur, was man weiss? Dank zwei neuen Büchern weiss ich nun mehr, und wenn ich in Zukunft von Spiez mit der Bahn an den beiden Spiezer Stauweihern linkerhand und an den waldigen Hügeln ob Lattigen rechterhand Richtung Wimmis und Simmental fahre, werde ich an beides denken.

Die „befestigte Höhensiedlung verschiedener Zeitstellungen in Lattigen“ schildert der Wimmiser Architekt Erich Liechti in „Burgen, Schlösser und Ruinen im Simmental“. Der Bildband weist gleich drei Untertitel auf: „Von den befestigten Siedlungsplätzen der Bronzezeit zu den mittelalterlichen Ritterburgen. Wie diese vielleicht einmal aussahen und was man heute noch sieht. Eine nicht wissenschaftliche Zeitreise ins Simmental, auf den Spuren unserer Vorfahren.“ Liechti stellt 35 Objekte im Simmental von Wimmis bis Lenk vor sowie 12 im Vorland zum Thunersee mit Lattigen und Einigen, Spiez und Faulensee. Das mit kurzen Texten und oft mit Grundrissen, vor allem aber mit Zeichnungen, wie die Steinbauten ausgesehen haben mögen. Und wer wie ich noch immer gerne Burgen aufsucht, sollte mit dem Buch ins Simmental reisen. Die Festiburg ob der Bahnhaltestelle Enge im Simmental sieht atemberaubend aus, der Zugang auch. Noch schlimmer ist derjenige zum Turm Gaffertschinggen in der Latterbachfluh – nur für klettertüchtige Knappen und Burgfräuleins zu empfehlen. Ein Tipp noch: Bei den im Buch je fünfstellig angegebenen Koordinaten muss man jeweils noch eine Null anhängen, also 597530, 166420, damit man die Burgen auf https://map.geo.admin.ch gäbig findet.

Im gewichtigen Wanderführer „An stillen Wassern im Berner Oberland. Natur erleben an mehr als 100 Seen und Seelein“ sind die Koordinaten korrekt angegeben. Robert Schneiter, der 35 Jahre lang als Pfarrer im Berner Oberland tätig war, stellt mit Wort und Bild, mit Kurzstichworten zu den stillen Gewässern und oft mit Kartenausschnitten inkl. Wanderroute, die ganze Oberländerseenwelt vor: vom Ägelsee über das Burgseeli und den Tümpel an der Sunnig Aar bis zum Wyssensee im Freilichtmuseum Ballenberg. Dass es dort einen See gibt, wusste ich gar nicht. Ein Buch, das mir aus der Seele spricht: Von 1986 bis 1989 beschrieb ich in der Freizeitbeilage der „Berner Zeitung“ zehn Wanderungen zu Bergseen im Berner Oberland. Noch nicht aufsuchen können hätte ich damals den Triftsee in einem Seitental des Gadmertales, weil es ihn noch gar nicht gab, da der Triftgletscher noch in den 1990er Jahren bis in die Triftschlucht hinunterreichte. Heute ist der See 2,83 ha gross – und er soll, mit einer 177 Meter hohen Bogenstaumauer gestaut, noch viel grösser werden. Auf zum Gletschersee und zu seiner Hängebrücke, bevor die Bohrmaschinen und Kräne loslegen.

Die Trifttour ist ebenfalls enthalten im rucksacktauglichen, hübsch illustrierten Führer „Berner Oberland. Wandern für die Seele. 20 Wohlfühlwege“ von Sabine Reber, Schriftstellerin und Pflanzenexpertin, und Pascal Stern, Geograf, Wanderleiter und Hüttenwart. Die Wanderungen sind aufgeteilt in Auszeit- (5, mit Trift), Panorama- (4), Verwöhn- (3), Entschleunigungs- (3) und Erfrischungstouren (5, mit dem Lauenensee als letzte Wanderung). Dazu passt perfekt ein Lied, ja das Bergseelied schlechthin:

I weiss no guet wo’n i ar Sunne bi gsässe
Wit awäg vom Lärm vo der Stadt
I weiss no guet wie’n i ha chönne vergässe
Dert hinger bim Louenesee.

S’het mi packt i ha gspührt dass i gah mues
Eifach furt i d’Rueh vor Natur
Ganz allei mit em Chopf vou Gedanke
Dert hinger bim Louenesee.

Immer wenn i wieder dra dänke
A das Gfüeuh dert am Ufer vom See
De merk i wie guet dass’s mer ta het
I gloube i gange no meh
A Louenesee.

Gründungsmitglied, Gitarrist und Sänger Georges «Schöre» Müller erinnert sich auf seiner Website www.schoere.ch: „Das Lied ist 1981 entstanden, der Text und die Musik stammen von mir, umgesetzt und aufgenommen haben wir es mit der Berner Mundartrockband der ersten Stunde Span.“ Der grösste Hit von Span, ein Evergreen, der an jedem Konzert gespielt wird, gespielt werden muss.

Wort und Musik für einen Bergsee: Am kommenden Mittwoch, 5. April 2023 um 19 Uhr, wird im Alpinen Museum in Bern die Trift-Suite uraufgeführt: „Die Ermutigung der Wasseramsel – eine Suite zur Trift im Berner Oberland“. Mit der Kapelle „Alpenglühn“ und Texten von Köbi Gantenbein. Anschliessend findet ein Gespräch pro und kontra den Bau eines neuen Stausees in der Trift statt. www.alpinesmuseum.ch/de/veranstaltungen/tipps?article=musik-und-gespraechsabend-trift-stausee-oder-trift-wildnis.

Erich Liechti: Burgen, Schlösser und Ruinen im Simmental. Weber Verlag, Thun/Gwatt 2021. Fr. 39.-

Robert Schneiter: An stillen Wassern im Berner Oberland. Natur erleben an mehr als 100 Seen und Seelein. Verlag Müller Medien, Gstaad 2022. Fr. 46.50

Sabine Reber, Pascal Stern: Berner Oberland. Wandern für die Seele. 20 Wohlfühlwege. Droste Verlag, Düsseldorf 2023. € 18,00.