Paklenica

Das Klettergebiet im kroatischen Nationalpark überlässt nichts dem Zufall. Die gut besuchten Routen sind so perfekt gesichert und gepflegt wie die Wanderwege durch die beinahe unberührte Karstlandschaft.

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Der erste Eindruck ist ernüchternd. Tausend Kilometer gefahren, und nun mühen wir uns an einem abgegriffenen, magnesiaverschmierten glatten 5b ab, als wär’s beträchtlich schwieriger. Auf der Strasse durch die Schlucht zieht eben ein lärmender Pulk Schüler daher, gefolgt von einer Schar Rentner mit klappernden Stöcken und einer Kletterfamilie in voller Montur, die Vier- und Fünfjährigen bereits in Helm und Klettergurt, nur der Säugling im Kinderwagen ist noch nicht ausgerüstet. Dazu fegt ein eiskalter Bora von den Bergen des Velebit durch die Schlucht herab gegen das Meer. Tucholskys Erzählung «Der Affenkäfig» geht mir durch den Kopf, während ich mich am kalten Kalk abmühe, ausgesetzt nicht hoch über dem Abgrund, sondern den Blicken von zwei Dutzend Neugierigen. Auch die Infrastruktur dieses Klettereldorados gleicht einem Zoo: Ticketshop, Kiosk mit Postkarten, Glacé und Souvenirs, in den Felsen gesprengte Toilette mit Kläranlage, Wegweiser zu den Routen, Täfelchen mit ihrem Namen und Schwierigkeitsgrad. Dazu freundliche Aufsicht in Uniform, die für Ordnung und Reinlichkeit sorgt und Ratschläge erteilt – und am Eingang der Schlucht steht auch schon die Ambulanz bereit, man weiss ja nie.

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Der folgende Tag sieht uns beim Wandern, und das versöhnt uns erstmal mit dem «Nacionalni Park Paklenica». Hier geht es buchstäblich über Stock und Stein, die Wege sind ruppig, durch Dickicht, über Karstfelder mit scharkantigen Gesteinsformationen und rutschige Geröllhalden. Amseln singen, im Blätterwerk von Eichen verstecken sich Pirole, Nachtigallen, Grasmücken; Bachstelzen hüpfen über Felsen, der Wind streicht über eine Hochebene mit Trockenmauern und zerfallenden Hütten, violette Schwertlilien blühen, wilde Rosen, Narzissen, Tulpen, Cylamen. Bizarre Felsskulpturen säumen den Weg, den wir niemals finden würden ohne die rotweissen Markierungen, die sich fast so dicht folgen wie die Haken auf den Routen in der Schlucht.
Die letzten zweihundert Meter zum Gipfel des 1110 Meter hohen Bojin Kuk führen über atemberaubende Kalkplatten, der Pfad ist gesichert durch neue Drahtseile, beinahe werden wir noch Klettersteig-Fans. Die Aussicht über die Insellandschaft der Dalmatinischen Küste ist grandios, der Abstieg weit, der Proviant liegt im Auto. Mit drei Stunden haben wir gerechnet, beinahe sechs sind es geworden. Am Abend dann die zweite, die endgültige Versöhnung mit dem Gebiet: Fisch in der Pansion Andelko in Starigrad, die ich mit Überzeugung als den angenehmsten und freundlichsten Gastbetrieb bezeichnen darf, den wir je besucht haben. Und das will was heissen, schliesslich ist Kroatien das zehnte Land, in dem wir klettern. Die Tochter der Famile Katic, Angelina, die deutsche Sprache und Literatur studiert hat, bedient perfekt und warmherzig, der Sohn ist Fischer. Jeden Tag gibt’s also frischen Fisch. Im Lauf einer Woche geniessen wir Seehecht, Drachenkopf, Goldbarsch, Makrele, Thunfisch und Calamares. Und Wein, rot und weiss, und Sliwowitz aus heimischer Produktion.
Und, ach ja, wir sind ja auch zum Klettern angereist. Und zum Wandern. Mit der Zeit finden wir auch Routen, die weniger abgewetzt und den Blicken der Masse ausgesetzt sind, gelegentlich gelingt ein kleines Projekt und zwei drei schöne Mehrseillängenrouten, die es ja auch noch gibt. Nur für die wirklich lohnenden Touren in den grossen Wänden des Anica Kuk oder des Debeli Kuk müssten wir wohl noch etwas zulegen, das heisst 6c oder 7a wenn möglich locker schaffen. Aber da sind wir in unserem Alter weit davon entfernt. Und so steht es wohl in den Sternen, ob wir je wieder die tausend Kilometer anfahren werden zum Klettern, zum Wandern, zum Fischessen. Für jede einzelne dieser Aktivitäten wohl nicht, aber auch hier gilt der Grundsatz: Die Summe ist mehr als ihre Teile.

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