Panoramameister Delkeskamp

Wer den Überblick behalten will, macht das mit Friedrich, Johann und/oder Roger.

«Wegen Rheumatismus in den Gliedern bin ich mit meiner lieben Frau in Bad Nauheim zur Kur gewesen. Es ist auch von guter Wirkung gewesen, wenn es auch nicht ganz radikal vertrieben wurde. Später machten wir noch eine kleine Reise nach Bamberg, die uns große Freude gemacht hat, die Gegend ist sehr schön, und was mich besonders interessiert und angenehm berührt hat, das ist der schöne Dom in Bamberg mit seinen 4 Türmen, welche Kaiser Heinrich II. hat bauen lassen. Ich habe denselben gezeichnet.»

Fast überflüssig, der letzte Satz. Denn der deutsche Maler und Kupferstecher Friedrich Wilhelm Delkeskamp (1794–1872) hat ein Leben lang gezeichnet. Das wusste der Adressat des Briefes natürlich, der Zürcher Panoramazeichner Johann Müller-Wegmann (1810–1893). Nicht zuletzt dank des Briefes vom 23. Juli 1865, darin ihm Delkeskamp aufgezählt hatte, was er noch alles vollenden sollte: Federzeichnungen von Baumstudien jeder Grösse; Prospektzeichnungen aus Berlin, Potsdam und Breslau; 20 grosse Rheinansichten, 150 mittlere sowie „eine Legion von Ansichten vom Main, desgleichen von der Mosel und Saar, Lahn und Nahe“. Ein unglaublich viel beschäftigter Mann, dieser Friedrich Wilhelm Delkeskamp. Dabei hätte er Kuraufenthalte ohne Zeichenstress geniessen können, denn bis zu seinem 71. Altersjahr hatte er schon sehr viel geleistet: Grossartiges, das wir gerade heute, im Zeitalter von Google Earth und Street View, nur mit Bewunderung anschauen können.

Delkeskamp hatte sich im Jahre 1825 über Deutschland hinaus mit einem Leporello-Rheinpanorama aus der Vogelschau einen Namen gemacht, bevor er auf die mutige Idee kam, zunächst die Ur-Kantone und dann die gesamte Schweiz mit angrenzenden Gebieten allein und ohne technische Hilfsmittel aus der Vogelschau zu dokumentieren. Dafür ist er während fast zwei Jahrzehnten auf zahlreiche Schweizer Berge gestiegen, hat von Frühling bis Herbst Tausende von Skizzen angefertigt, diese im Winter zunächst in Zürich und dann in Frankfurt zusammengesetzt und in die 45° Perspektive der Vogelschau gehoben. Und jetzt legt Rolf-Barnim Foth einen grossformatigen Bildband über den „Meister der Panoramen“ vor – eine Offenbarung.

Dass ein talentierter Zeichner Ansichten anschaulich mit dem Stift wiedergeben kann, das haben vor Delkeskamp weiss Gott schon viele andere bildende Künstler bewiesen. Allerdings verblüffen gerade seine Felszeichnungen mit einer prägnanten Plastizität. Was Delkeskamp jedoch von seinen Zeitgenossen abhebt, sind die Vogelschau-Ansichten. Nicht topografische Karten hat er aufgenommen, sondern Ansichten von oben, genauer: von schräg oben. Die Landschaft mit Siedlungen, Wegen, Äckern, Wäldern, Flüssen und Hügeln farbig erfasst: So präzise, wie das damals möglich war, und noch ein bisschen mehr. Delkeskamp hatte ein unglaubliches topografisches Verständnis: Er stand ja nie so hoch oben, wie er das Land zeigt. Den Lauf des Rheins, die Ur-Schweiz, später die ganze Schweiz, mit all diesen Bergen, Gewässern, Dörfern. Vor allem die Berge, die hatten ja in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts kaum Namen, und da kommt einer, und erfasst sie von schräg oben. Und es stimmt so genau, dass wir heute noch damit zurecht kommen, nicht in jedem Detail, aber im Überblick. Ob mal jemand schon angeschaut hat, welchen Gipfeln Delkeskamp eine Form und einen Namen gegeben hat? Aber bestimmt, nur habe ich diesbezüglich grad den Überblick verloren…

Da können nur Leute helfen, die den Überblick haben. Wie zum Beispiel Johann Müller-Wegmann, der mit über 4000 gezeichneten Panoramen und Ansichten massgeblich zur Erschliessung des Alpenraums und des jungen eidgenössischen Nationalstaates beigetragen hat. Wer mehr wissen möchte zu diesem Alpenionier mit Bleistift und Papier, müsste am Donnerstag, 8. Dezember 2022, in die Zentralbibliothek Zürich zum Vortrag von Ylva Gasser, stellvertretender Leiterin Karten und Panoramen, reisen. Leider findet der Vortrag in einem kleinen Saal statt, und er ist restlos ausgebucht. Ganz kleiner Trost: Die Zusammenstellung „Panoramen und Karten des Schweizer Alpen-Club. Die «Artistischen» Beilagen von 1864 bis 1923“ von Roger Hauri ist endlich digital konsultierbar. Darin sind 25 Panoramen von Müller-Wegmann aufgelistet, gleich viele wie vom Berner Gottlieb Studer.

Rolf-Barnim Foth: Der Meister der Panoramen: Friedrich Wilhelm Delkeskamp. Edition Kentavros, Hamburg 2022, € 50,00. www.edition-kentavros.eu

Johann Müller-Wegmann. Alpenpionier mit Bleistift und Papier. Vortrag von Ylva Gasser. Donnerstag, 8. Dezember 18.15, Zentralbibliothek Zürich, Zähringerplatz 6, 8001 Zürich. Eintritt frei, Anmeldung obligatorisch: zb@zb.uzh.ch. Aber leider ausgebucht!

Roger Hauri: Panoramen und Karten des Schweizer Alpen-Club. Die «Artistischen» Beilagen von 1864 bis 1923: https://www.sac-cas.ch/fileadmin/user_upload/Panoramen_und_Karten_des_Schweizer_Alpenclub.pdf

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