Wer eine Philosophie des Kletterns schreibt oder übersetzt, müsste wohl erst mal etwas vom Klettern verstehen, bevor er über das Einrichten von Routen und Schlagen von Haken tiefsinnige Gedanken verfasst. Selbst der renommierte Suhrkamp Verlag ist offensichtlich vor alpinliterarischen Missgriffen und Fehltritten nicht gefeit. Halten wir uns also an das alpine ABC in französischer Sprache über die Gründe, warum wir die Berge lieben. Da gibt’s wenigstens keine Übersetzungsfehler.
„Beim Sportklettern steckt man die Routen von oben her ab. Die Kletterer schnallen sich oben sicher fest und steigen dann langsam ab, um die Route zu bereinigen, zu üben und mit Haken zu versehen.“
Quatsch! Oder auf Englisch: Bullshit! Denn diese ziemlich falsche Definition von Sportklettern stammt vom amerikanischen Ethikprofessor und Kletterer Dane Scott aus seinem Beitrag „Freiheit und Individualität ‚on the rocks‘“ im Buch „Die Philosophie des Kletterns“. Es erschien 2014 erstmals auf Deutsch im mairisch Verlag und nun als günstige Taschenbuchausgabe im sehr renommierten Suhrkamp Verlag. Die Originalausgabe von 2010 heisst „Climbing – Philosophy for Everyone: Because It’s there“. Und genau hier mag der Haken stecken: In den USA wird vielleicht Sportklettern wie bei Dane Scott verstanden; hierzulande aber ist diese Definition schlicht falsch.
Nicht die einzige brüchige Passage im Buch mit dem hochtrabenden Titel. Die Schwierigkeiten beginnen bereits damit: climbing ist viel mehr als klettern; es umfasst auch das Bergsteigen im klassischen Sinn. Und so folgen sich ungenaue und falsche Begriffserklärungen und Übersetzungen wie die Griffe in einer Kletterhalle. Ein weiteres Beispiel: Bei der ersten freien Begehung der Salathé-Wall des El Capitan sei der Vorsteiger „ohne Sicherung geklettert.“ Quatsch: Da war das Seil zum Nachsteiger, da waren die mobilen Sicherungsgeräte, die der Vorsteiger gelegt hat und in die er mittels der Karabiner ins Seil eingehängt hat. Aber er hat die Sicherungsgeräte (Klemmkeile, Haken) nicht als Haltepunkte für Hände und Füsse benutzt. Anders gesagt: Es gibt ein ziemliches Gefälle zwischen der ungenügenden Übersetzung und der immer wieder herbeizitierten Phänomenologie des Geistes von Hegel.
Trotzdem: Ein paar der übersetzten Beiträge sollten durchaus gelesen werden, so derjenige „über das Schlagen von Griffen“. Und die beiden originaldeutschen „Klettern ist beides. Über Dualismus“ sowie „Abschied vom unendlichen Gipfel“ sowieso. Zum Beispiel auf der Fahrt nach oder zurück von Brig; dort findet von Mittwoch bis Sonntag zum 12. Mal das Multimediafestival „BergBuchBrig“ statt. Am Eröffnungsabend steht der Film „The Art of Climbing“ auf dem Programm, am Samstag Mittag zwei weitere Kletterfilme, am Sonntag Mittag der Kletterfilm „Tupendeo – one mountain, two stories“ von Robert Steiner. Nicht verpassen!
Zum ersten Mal hingegen findet der „Salon de la Montagne“ im Rahmen der Genfer Herbstmesse „Les Automnales“ statt, und zwar vom kommenden Freitag bis Sonntag im Palexpo. „Plus de 60 exposants venus de Suisse et de France se rassembleront pour vous présenter leurs activités et vous proposer des animations ludiques et évidemment sportives“, heisst es auf www.automnales.ch/salon-de-la-montagne. Mit dabei auch das Alpine Museum der Schweiz, das die Biwak-Ausstellung „Good News from Afghanistan“ und ein paar Exponate aus dem Nachlass von Erhard Loretan zeigt.
Und was lesen wir auf der Fahrt nach oder zurück von Genf? Ein aktuelles französisches Buch, das sich grundlegend mit dem Bergsteigen befasst, mais bien-sûr! Mein Vorschlag: „Pourquoi nous aimons gravir les montagnes“ von Marco Troussier, Bergführer, Ausbildner, Jazzer und Schriftsteller. Sein zugleich handliches wie tiefgehendes Buch über die Gründe, warum wir das Besteigen der Berge lieben, hat er als (nicht erschöpfendes) ABC aufgebaut, von A wie Air über C wie Cairn (Signal) bzw. (Andacht) und R wie Refuge oder Rêve bis Z wie die Z-Route an der Meije. Das ganze hübsch garniert mit meist älteren schwarzweissen Fotos und Zeichnungen. Un petit cadeau!
Stephen E. Schmid, Peter Reichenbach (Hg.): Die Philosophie des Kletterns. Suhrkamp Verlag, Berlin 2017, € 10.-, www.suhrkamp.de
Marco Troussier: Pourquoi nous aimons gravir les montagnes. Abécédaire (non exhaustif) de l’alpinisme. Les Éditions du Mont-Blanc, Les Houches 2017, € 14.90, www.leseditionsdumontblanc.com