Zwei neue Bergromane zu den beiden berühmtesten Gipfeln des Engadins. Als Routenführer taugen sie nur bedingt. Müssen sie ja auch nicht.
Der Schauspieler machte eine Geste hinauf zu den Gipfeln, die das Grand Arnold wie ewige Wächter umstanden. «Wenn ich hinaufsteige, würdest du mir Gesellschaft leisten?»
«Wo soll es denn hingehen?» Corinne sah in an. Die Sonne verwandelte sein Haar in eine leuchtende Corona.
O.W. blinzelte vergnügt. «Was hältst du davon, wenn wir unser Glück noch einmal auf dem Piz Palü versuchen?»
«Da ist er, der Piz Bernina.» Katharina drehte sich Selma zu: «Das ist die Westseite. Von der Diavolezza aus sahen wir die Ostseite.»
«Von hier sieht er viel mächtiger und gefährlicher aus», entgegnete Selma. «Habe ich wirklich gesagt, dass ich mitkomme?»
«Hast du», sagte Julia lachend.
«Na toll», murmelte Selma und betrachtete den imposanten Biancograt, den weissen Firn, die Himmelsleiter. Es sah aus, als würde der Grat auf einer fast senkrechten Felswand thronen. Ihr wurde etwas schwindelig.
Und auch. Immer wieder Bernina und Palü. Zum Beispiel die Romane „Der König der Bernina“ und „Der Todesweg auf den Piz Palü“. Oder der Film „Die weisse Hölle vom Piz Palü“. Klar, liegen schon ein paar Jahrzehnte zurück. In diesem Jahr aber gab es frisch wie der erste Herbstschnee auf dem Piz della Palù (erhebt sich ebenfalls auf der Grenze Graubünden-Lombardei): die Romane „Piz Palü“ von Marie Brunntaler und „Gipfelkuss. Die Reporterin am Piz Bernina“ von Philipp Probst.
Die Reporterin Selma Legrand-Hedlund kennen wir bestens, da wir sie schon zum „Alpsegen“ am Lauenensee begleitet und in Engelberg mit ihr „Wölfe“ entdeckt haben. Diesmal geht es ganz hoch hinaus: Auf dem König der Ostalpen soll Selma den Hochzeits-Gipfelkuss eines Promipaars fotografieren. Die Deutsche Julia wird den Gipfel über den Biancograt erreichen, ihr Verlobter, der Italiener Stefano, über den Spallagrat. Wenn das nur gut kommt! Natürlich geht das gut, wenigstens bis zum Gipfelkuss. Was nachher kommt, gehört mehr zur fiktiven als zur realen Bergliteratur. Mehr möchte, darf ich Euch nicht verraten. Oder soviel: Nach Gstaad, Engelberg und Pontresina schickte der Autor seine Heldin. Wie wär’s in Band 4 mit Zermatt, Grindelwald oder Montreux? Oder mit einem Dorf, in dem meines Wissens noch nie ein Bergroman angesiedelt wurde: Viano. Eine Wiese südlich des Ortes heisst Palü. Von dort erblick man den gleichnamigen Piz.
„Piz Palü“ also. Hotelroman und Bergkrimi in einem. Spielt irgendwo zwischen Pontresina und dem berühmten Berg, mit Diavolezza und Lago Bianco. Bei den alpinistischen Szenen gibt es einen Seilsalat, um es mal so zu sagen. Bei den Schweizer Weinen macht die Autorin ebenfalls ein kleines Durcheinander, wenn ein Marsanne blanche als typischer Wein des Tessins kredenzt wird. Wir stossen trotzdem an auf dieses flott erzählte Stück kitschiger Bergliteratur. Welche Berge auf dem Cover abgebildet sind, konnte ich nicht herausfinden. Sicher nicht Palü oder Bernina. Aber vielleicht der Piz Zupò, der höchste Gipfel der Lombardei. Zu ihm erschien 1898 im Verlag des Rauhen Hauses in Hamburg ein Roman von Anna Weidenmüller: „Piz Zupô. Eine Geschichte aus dem Touristenleben der vornehmen Welt im obern Engadin.“ Muss ich mal lesen. Zum Beispiel auf der Fahrt ins Oberwallis ans Multimedia-Festival BergBuchBrig.
Marie Brunntaler: Piz Palü. Eisele Verlag, München 2021, Fr. 30.-
Philipp Probst: Gipfelkuss. Die Reporterin am Piz Bernina. Orte Verlag, Schwellbrunn 2021, Fr. 38.-
BergBuchBrig. Das Multimedia-Festival Natur, Kultur, Freizeit und Abenteuer in den Bergen findet vom 3. bis zum 7. November statt. www.bergbuchbrig.ch.