Piz Caschlegla

Der Hüttengipfel der Medelserhütte, eine einsame Tour am Morgen nach einer Lesung. Grandiose Aussicht und vielleicht eine kleine Einsicht.

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Wieder mal auf einem Piz. Es muss lange her sein, seit dem letzten. Vielleicht war’s der Piz Cavardiras dort drüben überm Tal, so um 1980 herum. Die letzte Sektions-Klettertour und die einzige, die ich je leitete. Vielleicht auch die letzte von Freund Willy, der später einem Terroranschlag zum Opfer gefallen ist. Ich denke an ihn, während ich gegen den Grat hinaufsteige, manchmal stehen bleibe, in die Runde schaue, Atem schöpfe.
Gestern Abend Lesung in der gastlichen Medelserhütte, die Sonne ging über den Bergen im Westen unter, während ich las, den letzten Text konnte ich nur noch mit knapper Not entziffern. Aber ich kenne ja die Geschichten. Ein freundliches, interessiertes Publikum. Später in der Nacht dann Vollmond, ich sass noch in der Küche beim Röteli mit den Hüttenwart- und Hüttenchefpaaren und einer Angestellten.
Am Morgen keine Wolke am Himmel, da musste ich einfach los. Die Sonne brennt schon, während ich über Wiesen, Schutt und Blockhalden dem Grat folge auf diesen Piz, den Hüttengipfel, nicht ganz 3000 Meter. Zitronengelbe und schwarze Flechten auf den kristallinen Blöcken, Vorgipfel, kurzer Abstieg an Eisenklammern. Die Kette am Hauptgipfel verpasse ich, klettere direkt über eine feste Felsstufe hinauf. Ist ja leicht. Steinmänner, ein Stecken, drüben der Tödi zum Greifen nah. Das Panorama weit, Monte Rosa, Weisshorn, Finsteraarhorn mit dem kleinen Agassizhorn, dessen Namen geändert werden soll, weil der Naturforscher Louis Agassiz ein Rassist war. Eine Angelegenheit, die heftige Emotionen weckt, wie ich auch schon erfahren habe, als ich meine Meinung zum Thema in einem Blog kundtat.
Der einsame Aufstieg über den Blockgrat hat mich an meinen allerersten Berg erinnert. Auch ein Piz, Piz Cazarauls, 3063 m, bei der Planurahütte. Ich war 15, mit meinem Vater zur Hütte gekommen auf unserer letzten gemeinsamen Wanderung. Er musste ausruhen und so stieg ich allein über den Grat auf den Gipfel. Ich sehe ihn dort drüben neben dem Tödi, winke hinüber. Wundere mich, wie ich Ähnliches fühlte heute, allein in dieser grossartigen Berglandschaft, Ähnliches wie am Cazarauls am Anfang meines langen Bergsteigerlebens. Es gibt also Gefühle, die immer wiederkehren. Die Wiederkehr des immer Gleichen, frei nach Nietzsche. Schwer zu beschreiben, also vielleicht so: Du bist allein auf dieser Welt, allein auf dich selber gestellt gehst du deinen Weg. Das habe ich auch mal in einem Gespräch mit einem Bundesrat gehört, der als Junge einmal Geisshirt war und sagte, er fühle sich noch immer gleich wie damals allein mit den Tieren auf der Alp.
Ich schicke ein Selfie nach Hause, schreibe meinen Namen ins Gipfelbuch dieses Piz, bevor ich absteige. Dokumentiere meinen Besuch für die Nachwelt. Man weiss ja nie. Finde nun auch die Kette, neu und an Bohrhaken befestigt. Leicht geht’s nun bergab, doch mit gebührender Vorsicht. Nur nicht stolpern, hinfallen. Bin bald in der Hütte, bekomme einen Kaffee und verabschiede mich.

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