Ponte Brolla

Familienklettern im Süden, auf Granitplatten träumen, erinnern.

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Wir suchen den Frühling, zum Geburtstag der Tochter, Tessin also. Mit Zug und Bus gemütlich hinfahren, Kaffee und Gipfeli und Gespräche und dann die Felsen von Ponte Brolla im frühen Licht. Familienklettern.
Manchmal ist mir, als träume ich, auf feinen Leisten stehend und die Finger magnesiabestäubt an eine scharfe Kante gekrallt. Granit, der Geruch grosser Wände und längst vergangener Abenteuer lebt für zwanzig oder dreissig Meter wieder auf. Hier ist ja alles so perfekt abgesichert, gefährlich nur die ersten Meter, wenn man ausrutschen und aufs Felsband stürzen würde.
Allmählich belebt sich die Szene, der Berg wird zum Ameisenhaufen. Früher mieden wir ihn, zu wenig steil! Heute sind wir dankbar. Klettern die altbekannten schönen Linien: Anarchia! Ein Blick hinüber zum Monte Verità, wo Bakunin weilte und auch andere Anarchisten und Sonnenanbeter. Gusto Gräser etwa, der Dichter und Eremit, mit dem der junge Hesse auf den Felsplatten von Arcegno kletterte. Einsam ist man hier nie, ständig umgeben von den Geräuschen des Alltags in der Tiefe, eine Motorsäge, das Tingeln der Schranke, wenn die Centovallibahn einfährt, Autos hupen, ein Bagger schleift über Schotter, das Rauschen des Arbeitslebens.
Die Landschaft ist befrachtet mit Erinnerungen. Vor dreissig Jahren fuhren wir im Bus ins Maggiatal, ich allein mit der Tochter noch klein, zum Vater, der im Sterben lag. Ein Frühlingstag wie heute. Ich erinnere mich an die bewaldeten Hänge im düsteren Schatten, die schwarzen Felsplatten und die Sonne hoch oben in den Felsen. Trauer und Sehnsucht. Und jetzt sind wir wieder hier, klettern mit Lust und sitzen im Licht und träumen.
Dann schnell den Klettersteig hinab und durch den lichten Kastanienwald und zum Bus. Heimfahrt im Zug, Käsebrote und Bier. Im Norden liegt kalter Hochnebel.

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