Wandern als religiöse Handlung: wo würde das eher zutreffen als in Englands Lake District. Unser wandernder Rezensent hat sich durch strömenden Regen auf den Spuren von Dichtern, Malern und Poeten über Heide und Hügel der idyllischen Landschaften gekämpft, während wir hier den warmen Hebst genossen. Na ja, in England ist wenigstens das Bier warm.
„All I ask for, at the end, is a last long resting place by the side of Innominate Tarn, on Haystacks, where the water gently laps the gravelly shore and the heather blooms and Pillar and Gable keep unfailing watch. A quiet place, a lonely place. I shall go to it, for the last time, and be carried: someone who knew me in life will take me and empty me out of a little box and leave me there alone. And if you, dear reader, should get a bit of grit in your boot as you are crossing Haystacks in the years to come, please treat it with respect. It might be me.“
Das wünschte sich der 1907 im englischen Blackburn geborene Autor und Illustrator Alfred Wainwright in seinem 1990 erschienenen Buch „Memoirs of a Fellwalker“. Am 20. Januar 1991 starb der Bergwanderer in der Stadt Kendal im Lake District, und seine Asche wurde im namenlosen See unweit des Gipfels der Haystacks (597 m) verstreut. Zwischen 1955 und 1966 veröffentlichte Wainwright seine sieben „Pictorial Guides to the Lakeland Fells“; sie gelten noch immer als Standardwerk der Routenbeschreibungen und –zeichnungen zu 214 Bergen des Lake District, der so etwas wie die Alpen von England ist. Und sie sind natürlich immer noch erhältlich in Buchläden und Museumshops.
Auf den Spuren von Wainwright wandern jährlich nicht nur Tausende von Touristen; es tat dies auch der englische Autor Sinclair McKay, bekannt geworden unter anderem mit dem Werk „The Man with the Golden Touch: How the Bond Films Conquered the World“. In seinem neuen Buch „Ramble On“ erzählt er die Geschichte des Wanderns in Grossbritannien: spannend, anschauungsreich, Schritt für Schritt, mit kleinen Abstechern zu besonderen Aussichtspunkten. Im sechsten Kapitel entführt er die Leser auf den bzw. die Heuhaufen (so die Übersetzung für Haystacks), zeigt die Wirkung von Wainwright auf die damalige und heutige Wandergemeinde – und erzählt die Geschichte, wie der Lake District durch Maler und Poeten überhaupt entdeckt und propagiert wurde. Allen voran durch William Wordsworth, der, ähnlich wie Albrecht von Haller und Jean-Jacques Rousseau in den Alpen, die heile Landschaft des Lake District als romantischen Gegenentwurf zu den mehr und mehr industrialisierten Städten in poetische Sätze fasste. Das Häuschen, in dem Wordsworth seine Verse schmiedete, kann in Grasmere besucht werden. Allerdings fand schon Leslie Stephen solche Verehrung überflüssig, wie McKay berichtet: „Much as I respect Wordsworth, I don’t care to see the cottage in which he lived.“ Wir schafften es bei unserem Besuch im strömenden Regen auch nur gerade in den dazugehörigen Laden, wo ich neben dem sehr schön gemachten Katalog „Savage Grandeur and Noblest Thoughts. Discovering the Lake District 1750-1820“ von Cecilia Powell und Stephen Hebron die „Grasmere and Alfoxden Journals“ von Dorothy Wordsworth erstand. Am Montag, 4. Oktober 1802, als ihr heissgeliebter Bruder Mary Hutchinson heiratete, notierte sie: „The sun shone, it was warm & very pleasant.“
Gerade das ist die Geschichte des Wanderns in Grossbritannien nicht. Das freiwillige Gehen musste erkämpft werden. Beispielsweise 1932 im Peak District, als Arbeiter einen Gipfel erstürmten, um dagegen zu protestieren, dass die reichen Landlords ihnen das Passieren der riesigen Landgüter verweigerten. Es nützt nichts, wenn Leute wie Wordsworth oder Wainwright die wohlgeformte Landschaft und das wohltuende Wandern preisen, es tatsächlich aber nicht möglich ist, die Strasse zwischen Wohnraum und Arbeitsplatz zu verlassen und über Heide und Hügel zu streifen. Sinclair McKay geht aber noch weiter und bringt den Lake District und seine Verehrer bzw. Konsumenten gar mit dem störanfälligen Atomkraftwerk Sellafield und dem Motorway M6 in Verbindung. Wandern ist eben mehr als einen Schritt vor den andern zu setzen. „Walking is sometimes a form of religious practing in itself“, schreibt er. Und: „We spend colossal quantities of money on our desire to get mud on our boots. Mud that our forebears would have strenuously tried to keep off theirs.“
Sinclair McKay: Ramble On. The Story of our Love for Walking Britain. Fourth Estate, London 2012, paperback edition 2013, £8.99.