Rock ’n’ Roll

Ein paar Songzeilen und Buchseiten zu Rockstars im Fels und solchen auf der Bühne.

«Später im Kuckucksnest, unserer dunklen Rock-’n’-Roll-Bar in Berchtesgaden. Wir stehen mit unserer Band Plastic Surgery Disaster endlich wieder auf der Bühne. (…) Nach einer intensiven, laut dröhnenden Stunde kommt unser letzter Song, „Mountain High“. Als meine Jungs den ersten Riff anspielen, eingeflochten in einen melodiösen Basslauf, schließe ich die Augen, und die Bühne wird zu einer metaphysischen Plattform. Die wuchtigen Gitarren bauen sich auf zu steilsten Wänden, und ich stehe mittendrin, umringt von diesen Mauern, darin verborgen eine perfekte Linie, meine Linie, diese Eisspur, die nach rechts ziehende Rampe, und die letzte Verschneidung bis zum Gipfel.»

Auf den ersten Ton vielleicht ungewohnte Bergmusik, die da Thomas Huber (Jg. 1966), Sänger einer deutschen Rock-’n’-Roll-Band und einer der besten Allround-Alpinisten weltweit, in seiner ersten Autobiografie anschlägt. Aber erstens sieht Huber mit seinen langen Haaren und dem wilden Bart schon wie ein Rocksänger aus. Und zweitens bilden Rockmusik und Rockclimbing immer wieder besondere Seilschaften (mehr davon weiter unten).

„In den Bergen ist Freiheit. Ein wildes Leben“ berichtet Thomas, der ältere Bruder der berühmten Huberbuam (Alexander ist zwei Jahre jünger und ebenfalls ein Weltklassebergsteiger), offen wie nie über sein Leben für die Berge, die Musik und die Familie. Ein Leben geprägt von Triumphen und Erstbesteigungen, von Tiefschlägen, vom Wiederaufrappeln und Kämpfen. Das Scheitern ist für Thomas Huber immer auch eine Zwischenstufe zum Erfolg, und seine Hartnäckigkeit (und auch das Glück) half ihm so manche unbezwingbar geglaubte Wand hinauf, in den Alpen so gut wie in der Antarktis, und erst recht im Yosemite Valley, dem Playground der Huberbuam. Das mit 79 farbigen und 2 schwarzweissen Abbildungen illustrierte Buch liest sich fast so flüssig wie die Hubers durch die Granitwände des El Capitan flitzen. Nur der Abschluss wird etwas verpasst, der wunderbar kitschige Abschnitt „Dahoam“ hätte für mein Gehör hätte besser auf die letzte Seite gepasst als jetzt 30 Seiten vorher.

Hören wir noch ein paar Huber-Zeilen: „Es wurde Bier getrunken, geraucht, es wurden Pläne geschmiedet, lustige und heldenhafte Geschichten aus der Kletterwelt erzählt, und dazu hörte man den Sound von The Doors, Led Zeppelin, Jimi Hendrix, Motörhead, Black Sabbath. Janis Joplins Song bracht das Lebensgefühl in dieser verrauchten Kneipe auf den Punkt: ‚Freedom’s just another word for nothing left to loose.‘“

Kletterer denken bei Motörhead vielleicht weniger an die 1975 in London gegründete Rockband als an die gleichnamige Route im Granitklettereldorado ob dem Grimselstausee, erstbegangen von Yves und Claude Rémy im Jahr 1981. Im SAC-Kletterführer „Dreams of Switzerland“ (2016) schreiben die Remybuam: „Wenige Tage nach dem ersten Livealbum der Gruppe Motörhead entstand im Herzen der Alpen die gleichnamige, der Band gewidmete Route. Sie ist Symbiose zweier Kunstformen: harmonische Tonfolgen und perfekte Bewegungen.“

Verblüffende Parallelen zwischen Rockstars auf der Bühne und solchen im Fels zieht „The Alpine Journal 2022“, gerade auch mit Fotos. Wie sich Jim Bridwell und seine beiden Klettergefährten 1975 in hippiefarbigen Kleidern in Pose vor dem El Capitan warfen – wüsste man nicht, dass sie gerade erstmals die berühmte, 1000 Meter hohe Nose in einem Tag durchstiegen haben, glaubte man, eine Rockband habe sich ins Valley verirrt. Dass Mick Jagger in seiner Jugend auch ein Kletterer war, las ich im neuen AJ zum ersten Mal. Aber auch sonst lohnt sich die Lektüre der ältesten Alpinzeitschrift der Welt, zum Beispiel die Studie zu den Felshaken von 1870 bis 1920 sowie eine Schilderung der alpinistischen Exploits der Reiseschriftstellerin Freya Stark.

Und jetzt Bühne frei – für Kris Kristofferson. Er schrieb nämlich 1969 den Country-Song „Me and Bobby McGee“, der durch Janis Joplins Version zum Nummer-eins-Hit wurde: „Freedom’s just another word for nothing left to loose.“ www.youtube.com/watch?v=IOoMREvsV9E

Thomas Hubers: In den Bergen ist Freiheit. Ein wildes Leben. Malik Verlag, München 2022. € 25,00.

Ed Douglas (Hrsg.): The Alpine Journal 2022. Volume 126. The Alpine Club, London 2022; in der Schweiz erhältlich bei www.pizbube.ch, Fr. 38.40.

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