Rockies und Heros

Die Kletterstars werden immer jünger, wir alten sehen alt aus. Klar, wir waren ja auch mal jung und wild. Und vererben auch unsere Leidenschaft. Das Klettergen.

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Mein Herbst-Kletterprojekt ist geplatzt – nicht weil ich’s nicht schaffte. Ich fühlte mich bestens, war gerade am Aufwärmen, als zwei Familien mit einer Schar Kinder über den Klettergarten herfielen. Bald hingen Seile da und dort, stört ja weiter nicht, aber als ich mein Projekt anpacken wollte, war der eine Papa schon beim ersten Haken. Man wartet halt ein bisschen, isst noch eine Banane, trinkt einen Schluck Wasser und schaut zu, wie sich der Mann abmüht. Mal hängt, mal schimpft, die Route sei viel schwerer als im Führer angegeben. Schon keimt Hoffnung auf, als die sichernde Ehepartnerin hinaufruft: «Bau ab, das ist zu schwer für uns.»
Nach einer gefühlten Unendlichkeit erreicht der Mann die Umlenkung, aber er zieht das Seil nicht ab, sondern nun kommt ein Töchterlein dran, offensichtlich der Kinderstar der Gruppe. Mama filmt, die Bunch zückt Handys und feuert die Kleine an, die sich jedenfalls tapfer anstrengt. Dass sie für die Shootingsession auf den Helm verzichtet, versteht sich von selbst, ihre langen blonden Haare machen sich gar gut auf den Bildern. In zwei Jahren, ich bin sicher, wird sie die Route locker vorsteigen. Ich vertage mein Projekt auf den Frühling, wir verabschieden uns, denn nun muss auch Mama anpacken und dann die Geschwister und die andere Famile – nur der Hund bleibt am Boden.
Die Kletterstars werden immer jünger und mir scheint, es sei eine Entwicklung im Gang wie in andern Sportarten, etwa Tennis, Ballett oder Eiskunstlauf: Totale Förderung des sportlichen Nachwuchses durch die Familie.
Letzthin nahm ich an einer Versammlung meiner SAC-Sektion teil. Vor den Ehrungen der Älteren und Alten, die vierzig oder fünfzig Jahre regelmässig ihren Mitgliederbeitrag geleistet haben, durfte ein Neunjähriger auf die Bühne, der in einem U10 Kletterwettbewerb einen guten Rang «erkämpft» hatte, wie er selber sagte. Ein sympathischer Bub, der weiss, was er will. Zweimal pro Woche fahren ihn seine Eltern oder der Grossvater ins Klettertraining. In zwei Jahren werde er ihn überholt haben, sagte sein Vater, selber ein hervorragender Kletterer.
«Da muss er aber Gas geben», meinte ich.
«Nein, ich muss Gas geben», lachte der Vater, sichtlich ein bisschen stolz auf den kämpferischen Jungen, «6b steigt er schon vor, onsight.»
Man muss sich damit abfinden: die Jungen kommen und sie werden immer jünger und stärker. Vor zwei Jahren schauten wir einer Dreizehnjährigen zu, die eine 7b punktete, gecoacht von ihrem Vater, einem Sportlehrer. Selbst der erste Haken schien mir auf einem andern Planeten zu stecken.
Der 152-jährige SAC will die Entwicklung jedenfalls nicht verschlafen. Vor kurzem hat er die GECKO TROPHY lanciert, «ein einheitliches Abzeichensystem für Kinder und Jugendliche», basierend auf «altersgerechter Ausbildung und Förderung im Klettern». Ab fünf geht’s los mit Schnuppern, später kommt in verschiedenen Kursmodulen Techniktraining, Persönlichkeitentwicklung und vieles mehr dazu, was zu unserem Sport gehört. Vom «Rockie» über «Champ» bis zum Titel «Hero» kann sich die Kletterjugend qualifizieren und mit einem von zwölf verschiedenen Abzeichen ausweisen.
Ein bisschen kompliziert, sinniert da der Alte, der noch aus einer anarchischen Kletterzeit stammt. Als wir mit 16 schon Sechser kletterten, wollte man uns aus der Jugendgruppe des SAC schmeissen – das Wort «Sport» war damals geächtet im Club. Der Lehrmeister verhängte Kletterverbot, die Eltern sperrten das Taschengeld, wenn man wiedermal zu spät und mit zerrissenen Hosen nach Hause kam. Von Förderung also keine Rede. Doch Neid auf die Jugend ist sicher fehl am Platz – jede Zeit hat ihre Helden bzw. «Heros». Auch in meiner Familie packt der Nachwuchs schon kräftig zu. Das Bild zeigt mein Enkelein am Parcours der Klettertrophy «U1». Es muss wohl an den Genen liegen.

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