S´ Steimanndli

Wechselhaftes Wetter kommt immer anders als prognostiziert. Dem geregelten Plan meiner Geländearbeiten steht es jedenfalls im Weg und kann mich zur Weissglut bringen. Ein Bergwaldwesen sieht es dagegen gelassener.

steinmannli3

Die ganze Woche ist regnerisch, jedenfalls so wechselhaft, dass ich mich Tag für Tag entscheide in der Stadt zu bleiben, wahrscheinlich richtig entscheide. Doch in meiner kleinen Schreibstube bekomme ich schliesslich den Koller, vor allem wenn das Wetter vor dem Fenster dann doch ganz passabel ist. Darum ziehe ich eines Tages trotz immer gleicher Vorhersage ins Kartiergebiet, im festen Vertrauen darauf, dass eine beherzte Entscheidung sicher keine falsche ist.

Am Morgen liegt der Walensee vollkommen still. Trotz des Windkanals, den das Seeztal bildet, ist sein Spiegel so glatt, dass ich sie genau darauf sehen kann: Die ersten Regentropen! Und schlimmer noch, am Flumser Bahnhof auf das Postauto wartend, die Nebelbänke: Sie sind genau auf Höhe der Bergwälder in die ich heute will. An die Möglichkeit des Regens hatte ich gedacht, doch den Nebel hatte ich vergessen. Und genau dann ist er natürlich da, Murphy´s law. Als mich am Ortsausgang von Flums der immer gleiche Felsen neben der Schlucht anblickt, fühle ich mich von den Dingen verhöhnt, als ob sie das könnten, und argwöhne, der Zufall verfolge einen höheren Plan. Irgendwo im Wald zwischen der Molser Alp und der Seebenalp sehe ich kaum zwanzig Meter weit. Die Spitzen der Tannen verschwimmen und die kleinen Felswändchen werden erst fest, ihr Gestein bekommt erst Kontur und Farbe und somit seinen Namen, wenn ich direkt davor stehe. Jeden Meter muss ich also abgehen und verpasse doch jeden zweiten dabei. Nun bin ich angespannt und verärgert: Muss mir unbedingt alles hier zeigen, dass ich den falschen Entschluss gefasst habe?

„Bist umsonst gefahren!“, grinst das nasse Unterholz.

Da bricht sich der Ärger in Jähzorn Bahn. Mit voller Hammerwucht trümmere ich auf irgendetwas am Waldboden.

Im Nebel sieht mich ja keiner.

Und schreie schliesslich, als die Tropfen, die aus ihm fallen, noch dicker werden, den Nebel an, auf den man leider nicht trümmern kann:

„Du Hurahund!“

In der Stille hört mich ja Niemand.

Oder haben die Bauern mich gehört, die ich wenig später treffe? Sie lassen sich jedenfalls nichts anmerken. Zwei stehend, einer sitzend, warten sie unter einer Tanne den Regen ab. Der Stehende ist jener, den ich vor gut einem Monat bei Tschudiwiesen traf. An seinen grünen Jeep gelehnt, hatte er mir damals lang und breit von seinen Blumenwiesen erzählt. Heute spricht der Sitzende und frägt mich wie die Steine heissen, ob ich mit GPS arbeite. Nein, sage ich, eigentlich nicht, und zeige ihm stattdessen meine bunte Karte. Man kenne mich inzwischen. Letztens sei ich bei der Prodalp auf der Wiese gefläzt und habe gezeichnet. Ja, ich würde beobachtet, sagen sie und schmunzeln.

Die müssige Unterhaltung unter der Tanne wäre wohl ewig weitergegangen, hätte ich nicht noch etwas Farbe auf meine Karte bringen wollen. Später begegnete ich den Dreien nochmal. Auch sie waren mit dem Zaunaufrichten etwas weitergekommen.

„Ah“, hiess es da, „ s´Steimanndli“.

Diese Mal schmunzle ich.

Die Stille ist auch eine Windstille und eigentlich wunderschön. Die Nebel steigen langsam vor den Wäldern empor und ziehen unterhalb durchs Tal, geben zwischen den Regengüssen Blicke frei; vorhin kurz auf den Alvier, jetzt auf den Sichelchamm. Und das mal auflebende, mal einschlafende Trommeln des Regens auf dem Kartierschirm erinnert an erzwungene Ruhetage im Zelt, irgendwo weit weg. Spätestens nach dem Gespräch mit den drei Bauern ist das Steinmanndli so entspannt, wie es sich gehört für den Berg. Nun bringt ihn auch jener Mischwald aus Wachholder, Alpenrosen und Heidelbeere nicht aus der Ruhe, den es nachmittags im Bereich des Narggenchopfs durchquert und der ihm als Riesen bis zu den Knien reicht, der seine Beinkleider nässt, und auf dessen noch winterkahlen biegsamen Stämmen er ständig talwärts ausgleitet.

Gesicht und Unterarme kleben heute weder von Salz noch von Sonnencreme sondern sind vom Nebelregen kühl und frisch geblieben. Und als ich abends wieder bei der Postautohaltestelle Tannbodenalp auftauche, hat sich der Tag doch gelohnt: Trotz Nebel, trotz Regen hab ich einen dreiviertel Quadratkilometer mehr „im Sack“.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert