Warum forderten die Berge die ersten Fotografen so heraus, dass sie ihre kiloschweren Apparate stundenlang auf höchste Gipfel schleppten und die wilde Fels- und Eislandschaft schwarzweiss auf Glasplatten zauberten? Vielleicht liefert die besprochene Ausstellung Antworten. Auch auf die Frage, wie die Digitalisierung mit ihren ultraleichten Kameras, uferlosen Speichern und Drohnen die Gebirgsfotografie verändert hat.
„Der Mensch – und sollte er auch ein Clubist sein – ist mehr oder weniger erschöpft, mehr oder weniger im Fieber, wenn er sich an Guffer- und Schneehalden müde geklettert hat. Ist er nach einem durchwachten Bivouak auf einen beliebigen Gipfel oder Grat hinauf gelangt, so wird er sich meist mit allem andern eher abgeben, als mit Photographie. Es braucht alsdann grosse Willenskraft, um den Apparat sorgfältig und flink zu handhaben, mit einem schwarzen Tuche bedeckt, an kleinen Schrauben zu drehen bis man den Focus ganz genau gefunden hat, kurz die Sache so abzumachen, als wäre man in seinem Zimmer oder auf grünem Wiesenplan. Ein heftiger Wind wird auch bei schönstem Wetter alles vereiteln.“
Das schreibt Jules Beck (1825–1904) im Artikel „Ueber Photographie in höheren Alpenregionen“, der im vierten Jahrgang des „Jahrbuch des Schweizer Alpenclub“ von 1867 auf 15 Seiten abgedruckt ist. Beck gilt als der erste Schweizer Hochgebirgsfotograf. Ein paar seiner Aufnahmen sind in einer neuen Ausstellung im Musée de l’Elysée in Lausanne zu sehen. „Sans limite. Photographie de montagne“ gibt einen faszinierenden Überblick zur Bergfotografie von einst bis heute, von Jules Beck und Adolphe Braun über Paul Güssfeldt und Elizabeth Main bis Balthasar Burkhard und Iris Hutegger. Dabei stammen mehr als drei Viertel der knapp 300 Exponate aus der museumseigenen Sammlung. Der 250-seitige Katalog seinerseits präsentiert 150 Werke, enthält eine Essay von Kurator Daniel Girardin und ein Interview mit Maurice Schobinger, von dem auch das Cover stammt; es zeigt die Nordostwand der Lenzspitze (4294 m) in der Mischabel. Ein gelungener Wink zu William Frederick Donkin: Seine Panoramaaufnahme „The Nadelgrat from the summit of the Dom”, mit dem gesamten Nadelgrat inklusive Lenzspitze und tief verschneitem Vorgipfel des Doms ist die erste Foto, die das „Alpine Journal“, die erste und älteste Bergzeitschrift, veröffentlicht hat (im Novemberheft 1881).
Der Katalog ordnet die Fotos nach drei hauptsächlichen Prinzipen: Standpunkt, Form und Verbreitung. Bei den „Points de vue“ gibt es fünf Kriterien (frontal, vertikal, horizontal, aus der Luft sowie aus der Distanz), bei den Formen drei (Kegel, Material, Ikone). Welcher Berg als Ikone schlechthin gilt, ist leicht zu erraten: Es ist ein Berg an der Schweizer Grenze, sein deutscher Name beginnt mit einem M, wie Monte Rosa oder Meix Musy. Die Ausstellung ihrerseits gliedert sich in vier inhaltliche Ausrichtungen: wissenschaftliche, touristische, alpinistische und künstlerische Fotografie. Beim Rundgang durch „Grenzenlose Gipfel. Gebirgsfotografien“ (so der deutsche Titel) verbinden sich diese vier Richtungen zunehmend. Daniel Girardin: „Je weiter man sich von den Aufnahmebedingungen einer Fotografie löst, desto freier deutet man sie.“ Jules Beck würde staunen.
Daniel Girardin: Sans limite. Photographies de montagne. Collection Musée de l’Elysée n° 4. Coédition Les Éditions Noir sur Blanc/ Musée de l’Elysée Lausanne, 2017, Fr. 50.-
Die gleichnamige Ausstellung im Musée de l’Elysée in Lausanne dauert vom 25. Januar bis zum 30. April 2017; www.elysee.ch