Fels fühlt sich härter als die Griffe der Halle. Auch in Sardinien, zwischen Meer und Himmel. Von Wünschen und ihrer Erfüllung. Yeapp! © Annette Frommherz
«Wenn du dir etwas wünschst, wirklich fest wünschst, dann wirst du es erreichen.»
Der Satz will nicht halten, was er verspricht. Mein Bruder hatte ihn oft gebraucht, bei ihm hat er immer funktioniert.
Ich stehe in der Kalkwand an der Ostküste auf Sardinien und hatte mir so gewünscht, aufwärts zu kommen. Wenn nicht aufwärts, dann nun wenigstens abwärts. Dabei ging ich von der festen Absicht aus, diese Route im Vorstieg zu meistern. In der Halle klettere ich in höheren Schwierigkeitsgraden als draussen. Drinnen wähne ich mich in falscher Sicherheit, während die Natur draussen kein Erbarmen zeigt. Hier roch bereits der Einstieg vor dem ersten Haken nach einer Mutprobe. «Ich habe Angst!» rufe ich gegen den Felsen, um nicht nach unten blicken zu müssen. Mein Ruf prallt am Gestein ab und vermischt sich mit dem Getöse der Gischt, die weit unten an den Wänden aufspritzt. «Die nützt dir da oben nichts, die Angst!» höre ich den Ruf von unten. Was soviel heisst, dass mir keine Gelegenheit geboten wird, jetzt aufzugeben. Meine Fingerspitzen klammern sich an die scharfen Kanten.
«Unternimm etwas!» Hätte ich doch Badeferien gebucht! Mit der Bücherbeige an den Strand, den Sonnenhut aufsetzen, abends ein Gläschen zuviel vom vino della casa, anderntags ausschlafen. Stattdessen stehe ich mit verkrampften Muskeln in der 5c-Route, unter mir und viel zu weit weg der letzte Haken, durch den am Express mein Seil verläuft. Über mir – in unerreichbarer Entfernung, wie mir scheint – glänzt höhnisch der letzte Haken vor dem Stand. Lange darf ich nicht mehr zuwarten; meine Kraft in den Armen schwindet und die Fussspitzen schmerzen wie früher im Ballett. Ich presse meinen Körper gegen den warmen Felsen, schüttle den einen Arm und suche zeitgleich nochmals nach möglichen Stellen, um den rechten Fuss höher zu setzen. Wenn ich jetzt nicht handle, habe ich verloren; verloren im Wettkampf gegen mich selbst. Entschlossen winkle ich das Knie an und setze den einen Fuss auf eine kleine Mulde. Fast gleichzeitig angle ich mit der einen Hand nach der winzigen Kante, die ich im Visier hatte und die mein Weiterkommen sichern soll. Nun geht alles ganz schnell. Keine Zeit zum Nachdenken. Den Weg suchen. Alle Hebel in Bewegung setzen. Das Ziel vor Augen haben. Den linken Fuss abstossen, um mit der anderen Hand an den kantigen Griff heranzukommen. Wie spitze Nadeln dringt das Kalkgestein in die Haut. Ich achte es nicht. Meine Konzentration liegt jetzt beim Wesentlichen, beim Vorankommen und Ankommen. Mein Atem geht viel zu schnell, aber die Hände und Füsse sind in Bewegung und lösen sich ab, wo die Stellen im Fels es verlangen. Immer wieder ist es ein Wettkampf mit der Zeit und mit der Kraft. Immer wieder möchte ich erst später darüber nachdenken, was passieren könnte, wenn ich abrutschen würde, wenn der Haken nicht hielte, wenn die Kraft mich verliesse, das Seil reissen würde, ein Gesteinsbrocken sich löste, wenn ich nicht mehr wüsste, wie ich oben umknoten muss. Diese Gedanken treiben in meinem Kopf üble Spiele, bis ich endlich – wars eine Ewigkeit? – im sicheren Stand nach unten ‚Yeapp!’ rufen kann, unser vereinbarter Vogelruf, der das Abseilen freigibt.
Es ist ein glücklicher Moment. Erst jetzt sehe ich die wulstigen Sinterstellen im Gestein. Erst jetzt erspähe ich das weite Meer, über dem sich die Wolken türmen, um zwischendurch der Sonne Platz zu machen. Erst jetzt rieche ich die salzige Luft, den Duft nach wildem Thymian und nach Lavendel. Erst jetzt glaube ich wieder an meines Bruders Satz: «Wenn du dir etwas wünschst, wirklich fest wünschst, dann wirst du es erreichen.»
Toll! Ich beneide Dich sehr.
Küsschen
Peter Zettel
Wie passend doch! Voller Gegensätze – so wie Du!
Ein steiler Weg.. Glückwunsch!
Hallo Annette,
ein toller Artikel. So, als ob man selbst dabei ist! Und auch in dem Satz: „Wenn du dir etwas wünschst, wirklich fest wünschst, dann wirst du es erreichen.“ steckt ganz viel Wahrheit.
Es grüsst dich herzlich
dein Laufkollege
Armin H. Müller