Schaurige Orte in der Schweiz

Neue Schweizer Krimis, die zum Lesen einladen. Aber lieber zuhause als vor Ort.

«Ich wohne im Kurhaus auf dem Weissenstein und muss dorthin zurück. Können Sie mir den Weg erklären?»
Meieli sieht ihn erschrocken an. «Sie wollen auf den Berg, allein, um diese Zeit? Es ist schon dunkel und Sie müssen durch den Franzoseneinschlag.»
«Ich habe bereits Schlimmeres durchgemacht als einen Nachtmarsch auf einen Berg.»

Sagt Lord William Mallory zur Wirtshaustochter Meieli im „Kreuz“. Eben hat er sie vom aufdringlichen Jost gerettet, nun will er alleine durch die Nacht in sein Logis hoch oben auf dem Solothurner Hausberg. Was er nicht kennt, ist der Franzoseneinschlag zwischen der Stadt Solothurn und dem Dorf Rüttenen; ein unheimlicher Ort, den auch furchtlose Engländer in der Nacht nicht alleine durchwandern sollten. Ob das also gut geht an diesem kalten Oktoberabend anno 1834? Die Geschichte findet ihre beklemmende Fortsetzung im Oktober 2019. Zu finden ist sie im Reader „Schaurige Orte in der Schweiz“, den Lutz Kreutzer herausgegeben hat. Zwölf unheimliche Geschichten tischt er mit seinen Mitautoren auf, vom Mord in eisiger Höhe (Säntis) über den Galgen von Ernen, den Oger von Grindelwald und den Ritter von Scheidegg bis eben zum Schatz im Franzoseneinschlag. Spannende Ziele zum Lesen. Zum Bereisen vielleicht weniger. Im Folgenden noch ein paar andere alpin angehauchte Schweizer Krimis.

Gerade als Thomas zu einem entschiedenen verbalen Rückzugsappell ansetzen wollte, passierte es. Er rutschte auf einem feuchten Stein aus und lag kurz darauf, ohne Badehosen, dafür mit Jeans, Pullover und Jacke, im Schwarzwasser. Das Bad dauerte nicht lange. Lisa staunte, wie flink sich Zigerli bewegen konnte, wenn es drauf ankam.
«Elender Mist», jammerte Lisas Kumpel. «Mir reicht’s mit deinem beschissenen Nachtspaziergang!»
«Hast du dir wehgetan?», erkundigte sich Lisa in ihrer charmantesten Art.

Kriminalistische Arbeit fordert halt manchmal besonderen Einsatz – und Opfer. Das muss Thomas Zigerli im Schwarzwassercanyon unweit von Bern in kalter Novembernacht 2019 hautnass erfahren. Seine Kollegin Lisa Manaresi erst recht bei den folgenden Ermittlungen. Das ungleiche Duo steht im Zentrum von „Das Schweigen der Aare“, dem Erstling von André Schmutz. Ein Krimi, der tüchtig unter die Haut geht. Über die Berner Kirchenfeldbrücke wird man in Zukunft mit anderen Augen gehen; dito beim Baden im Schwarzwasser, wenn es denn wie die Aare endlich zu sommerlichen Aktivitäten einladen wird.

Sie erreichten die erste Brücke. Die Aare passierte dort eine Schleuse. Das Wasser, weisse Gischt, trotzte im Flussbett dem Wehr. Max legte einen Halt ein, sah hinunter auf die Elemente, die gegeneinanderspielten: Luft, Erde, Wasser.
«Kommst du?»

Lieber nicht! Jedenfalls nicht nach Interlaken, weder am Tag noch in der Nacht. Dort geht der Tod um – in „Interlaken“ von Silvia Götschi, der fleissigsten Krimiautorin der Schweiz. Nach den Ermittlungen auf dem „Bürgenstock“ und in „Engelberg“ führen die Privatdetektive Maximilian von Wirth und Federica Hardegger solche nun in der Aarestadt im Berner Oberland, bei den Giessbachfällen, auf dem Beatenberg, dem Jungfraujoch und an anderen spektakulären Orten durch, wo ein leichter Schubser genügen könnte, um einen Gegner – oder auch Ermittler – zum Schweigen zu bringen. Eine extra gelöste Schlaufe im Sitzgürtel eines Gleitschirms reicht eigentlich ebenfalls aus. Das Berner Oberland ist nicht nur eine unheimlich schöne Gegend, sondern auch schön unheimlich. Ob es im Emmental weniger gefährlich ist, diesem Land der tausend Höger und Chrächen?

«Auf der Wanderkarte tragen die kleinsten Täler überhaupt keinen Namen. Darauf ist kein Verlass.»
Gwendolin griff nun ihrerseits zur Detailkarte und zählte auf: «Wenn wir von oben beim Hochänzi beginnen: Schwandgrabe, Ländergrabe, Säugrabe, Rappegrabe, Rehgrabe, Spichersgrabe unter der Zuckeralp, Cholgrabe, Fischgrabe, Schwendigrabe, Ruchsitegrabe, Vorders Riedgrebli, Haggrabe, Weichelgrabe, und das sind nur diejenigen links und rechts des Hornbachs. Nur ganz hinten gibt es zwei Ausnahmen: Hochstaule und Arnistaule.»

Da wird einem ja ganz schwindlig vor lauter Gräben! Bestens passt dazu der Titel des jüngsten Krimis von Paul Lascaux: „Emmentaler Alpträume.“ Diesmal ist die Detektei Müller & Himmel inklusive den Grazien Gwendolin & Co. unterwegs im geografisch und gesellschaftlich unübersichtlichen Napf-Massiv. Doch die Spurensuche dehnt sich aus auf meinem ehemaligen Hausberg Belpberg: Auf dem Chutzen liegt eine Leiche. Am 7. Mai 2020 war das zum Glück nicht der Fall; damals bewunderte ich dort oben wieder mal das Panorama. Aber wohin denn nun im offenbar rundum mörderischen Bernbiet? Warum nicht ins ehemalige bernische Untertanengebiet, ins Waadtland, genauer in die Salzminen von Bex?

«Julien noua une corde à son sac à dos, ceignit un baudrier et entama l’ascension.
Quelques semaines avant la prise d’otages, Mélanie l’avait accompagné pour vérifier si la voie équipée d’ancrages de sécurité était toujours en état depuis le dernier exercice qu’elle avait fait aves les aspirants de l’Académie de police. Comme personne ne s’aventurait dans cette zone, pas même les mineurs, ils y avaient déposé tout le matériel nécessaire.»

Ob es Julien gelingt, auf einem geheimen Gang ins Innere des Salzbergwerkes zu gelangen, wo ein Verbrecher Geiseln in Haft genommen, ja mindestens eine schon erschossen hat. Ein mörderisches Unterfangen für den Geiselnehmer wie für Inspektor Andreas Auer in seinem vierten Fall. „Les protégés de Sainte Kinga“ von Marc Voltenauer beginnt etwas langatmig, nimmt dann aber mit der geplanten Erstürmung der Salzminen und der Flucht der Bösen über Pässe hinweg ins Aostatal gehörig Fahrt auf. Macht allerdings auch nicht wirklich Lust, diese Stollen in den Waadtländer Alpen zu besichtigen. Ob es vielleicht in östlicheren Berggebieten gemütlicher ist? Wir lesen uns vorsichtig ein:

Er schüttelte den Kopf. «Fehlanzeige. Da unten ist nichts.»
«Und nun?»
«Wir werden wohl nie erfahren, was wirklich geschehen ist.»
Sie stiegen am Drahtseil zur Grünhornhütte hinauf, wärmten sich an der Sonne, sprachen wenig. «Hast du dich für die Saurier entschieden?», fragte er einmal.
«Ja», sagte sie.
«Und auf den Tödi kommst du auch mal mit?»
«Vielleicht.»
Faseriges Gewölk zog auf, als sie abstiegen.
«Kein gutes Zeichen», meinte er.

Ausschnitt aus einem der acht kurzen Krimis, die Emil Zopfi für das Buch „Tod am Tangoball“ zusammengestellt hat. Titel dieser unheimlichen Geschichte: „Tod am Tödi.“ Alles klar: Wir wandern nur von Seite zu Seite, möglichweise auch nachts, weil es so spannend ist.

Lutz Kreutzer (Hrsg.): Schaurige Orte in der Schweiz. Unheimliche Geschichten. Gmeiner Verlag, Meβkirch 2021. € 13.-
André Schmutz: Das Schweigen der Aare. Gmeiner Verlag, Meβkirch 2021. € 14.-
Silvia Götschi: Interlaken. Emons Verlag, Köln 2020. € 15.-
Paul Lascaux: Emmentaler Alpträume. Gmeiner Verlag, Meβkirch 2021. € 13.-
Marc Voltenauer: Les protégés de Sainte Kinga. Slatkine & Cie, Genève 2020. € 22.-
Emil Zopfi: Tod am Tangoball. Acht kurze Krimis. Epubli 2021. Fr. 20.- Zu bestellen bei: https://zopfi.ch/books/

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