Was tun mit der alten Bausubstanz in den Alpen? Unser Rezensent hat sich im Lötschental und in der Literatur umgeschaut.
„Zu einem Fallbeispiel könnte das Lötschental werden. Dort hat sich die Initiative «Wider den Zerfall» gebildet. Ziel ist es, einen ganzheitlichen Lebensraum zu schaffen. Das Lötschental ist ein abgelegenes Berggebiet im Kanton Wallis. Im Semester befassen wir uns mit dem Dorfteil Bodmen in der Gemeinde Blatten. Bodmen befindet im nördlichen Teil von Blatten in einer Mulde zwischen zwei für das Dorf charakteristischen Felsrücken. Die bauliche Substanz besteht aus 25 Gebäuden – mehrheitlich Stallscheunen. Die Ökonomiegebäude können zu einem grossen Teil infolge der Veränderungen der Landwirtschaftsstrukturen nicht mehr verwendet werden. Wir werden aus verschiedenen Hinsichten die Frage nach möglichen Transformationen dieser Bauten stellen. Neue Nutzungen im Rahmen des dörflichen Lebens und solche für Gäste kommen gleichermassen in Betracht.“
Auszug aus dem Vorwort einer neuen Broschüre, die ich in Blatten im Lötschental entdeckte. Dort verbrachte ich letzte Woche die Berner Sportferien, in einem rund 400 Jahre alten, aus Lärchenholz erbauten Haus am sonnseitigen Ufer der Lonza. Neben dem Haus eine leere Scheune. Eine von vielen nicht mehr benützen Scheunen, Ställen, Speichern und Stadeln in Blatten, im Wallis, ja im ganzen Alpenraum. Was tun damit? Leer stehen und zur Ruine verkommen lassen? Abreissen und das Holz verfeuern, oder in einem neuen Haus einbauen, als Dekoration in einer Bar? Als museales Gebäude erhalten, gar nach Ballenberg überweisen? Zum Ferienhäuschen oder zum Wohnhaus umbauen? Als Sauna, Boutique, Beiz oder Begegnungsstätte verwenden? „Es darf nicht gleichgültig sein, was mit den leer stehenden Ställen passiert. Für das Lebensgefühl vieler Orte sind diese Bauten von hoher Bedeutung“, schreibt Gion A. Caminada, Professor für Architektur und Entwurf an der ETH Zürich im Vorwort dieser gediegen gemachten, 80seitigen Broschüre. Er weiss es selbst am besten, lebt er doch in Vrin, einem Dorf zuhinterst im bündnerischen Lugnez, so wie Blatten hinten im Lötschental liegt.
„Orte Schaffen“ heisst eines der Projekte von Caminada. Die Kernidee des Projektes besteht darin, „Räume zu schaffen, die einen unmittelbaren Bezug zu ihren Bewohnern haben“. Im Frühlingssemester 2011 befassten sich Caminada und seine Studenten mit dem Ortsteil Bodmen in Blatten und schufen verschiedene Szenarien: unterschiedliche Wohnhaustypen, die Transformation von Ställen zu Schlafkammern, ein neues Zentrum als Bindeglied zwischen Touristen und Einheimischen sowie andere Nutzungen, zum Beispiel der Bau eines Badehauses. Spannend, wie sich die Studenten aus Zürich unter der Leitung ihres Bergler-Professors in diese archaische Stalllandschaft hineingedacht haben, was sie vorschlagen, um die kleinen, braungebrannten, steinplattengedeckten (und jetzt unter meterdicken Schneeschichten liegenden) Gebäude mit neuen Leben zu erfüllen, zum erhofften Wohle der Einheimischen und der Touristen. Die Broschüre: schon jetzt ein Wert zum Lesen und Studieren. Die Bauten von Bodmen, ja ganz Blatten: schon jetzt besuchenswert – und in Zukunft hoffentlich noch mehr.
Was tun mit den leeren Ökonomiebauten? Was ist schon getan worden? Und wie? Diesen Fragen geht der Ratgeber „Umnutzung von Ökonomiebauten“ nach, welche der Oberwalliser Heimatschutz herausgegeben hat. Nach einer Übersicht über die Gebäudetypen folgen acht Kapitel, die aufzeigen, wie die neue Nutzung am besten passiert (und auch, wie nicht!), was dabei zu beachten ist, und zwar bis ins entscheidende Detail hinein. Auch wenn man keine Scheune besitzt, keinen Speicher erben wird, keinen Stadel kaufen will: Diese Broschüre öffnet uns ebenfalls die Augen für das architektonische Erbe in den Alpen. Und nicht nur dort. Leere Ställe gibt es ebenfalls im Flachland. Oder gab es wenigstens mal.
Tourismus trotz allem: Teil der Kultur. Orte Schaffen IV/Frühjahrssemester 11. Professur für Architektur und Entwurf Prof. Gion A. Caminada ETH Zürich, August 2011, www.arch.ethz.ch/darch/entwurf/caminada/
Umnutzung von Ökonomiebauten. Ein Ratgeber zum Erhalten oder Umbauen von Speichern, Stadeln, Ställen und Scheunen. Schweizer Heimatschutz, Sektion Oberwallis in Brig, 1. Auflage 2009, 2. Auflage September 2011, www.oberwalliserheimatschutz.ch.