Schilt

Eine Skitour mit historischem Bezug und privaten Erinnerungen.

bild011
bild012


Die Tour beginnt kalt, im Schatten am Skilift hinauf auf die Fronalp. Wir sind nicht die einzigen an diesem einzigartigen Tag. Pulverschnee und Weitsicht, im Süden über dem Tödi baut sich eine Föhnmauer auf. Schneestaub im Gesicht, auch der Föhn ist kalt in der Höhe, die Sonne wärmt kaum.
Der Schilt ist ja nicht irgendein schöner Skiberg, er war der erste von allen. Christoph Iselin, Führerchef der Sektion Tödi und Oberst im Militär, begann im Winter 1892/93 mit selbstgefertigten Ski zu experimentieren, angeregt durch Fritjof Nansens Buch «Auf Schneeschuhen in Grönland». Im folgenden Winter übte man auf Skis, die man aus den norwegischen Christiania importiert hatte, unter der Anleitung des norwegischen Ingenieurs Olaf Kjelsberg, der in Winterthur arbeitete, und des norwegischen Studenten Krefing. Die beiden Obersten Christoph Iselin und Jakob Jenni bestiegen dann schon am 8. Januar 1893 den 2299 Meter hohen Schilt und fuhren nach Mühlehorn am Walensee hinunter – diese erste alpine Skitour leitete eine rasche Verbreitung der neuen alpinen Disziplin ein und machte das Glarnerland zu seinem Zentrum.
Im Aufsteigen trete ich Christa wiederholt auf die Ski, meine Gedanken wandern, während sich der Körper automatisch bewegt. Einst baute ich mit H. auf der Fronalp eine Schneehütte, wir übernachteten, die Füsse im Freien, weil viel zu wenig Schnee lag. Im Nebel hinauf auf den Gipfel, wieder hinab zur Fronalp, Sonne, nochmals hinauf, dann Abfahrt nach Obermürtschen, Aufstieg zum Alpbiglenstöckli, Abfahrt nach Mühlehorn. Heute würde ich das kaum mehr schaffen, obwohl mir der Arzt letzthin nach einem Test dreissig Prozent höhere Leistung als das Soll meines Alters bestätigt hat. Gedanken also an H., der eine Art Förderer war, mich mitnahm auf seinem Motorrad ins Gebirge, mir einmal ein Paar Ski schenkte und auch sonst noch viel anders. Und mir ein unüberlegtes Wort, irgendwann in der Euphorie des Kletterns gedankenlos fallen gelassen, nicht verzeihen konnte, seit 50 Jahren nicht (glaube ich wenigstens).
Abfahrt im schon etwas verfahrenen Pulverschnee nach Obermürtschen, wo es vor den Alphütten genug warm ist für einen kleinen Imbiss. Hier kochte Peter Ackermann, der Wirt und Bauer auf den Hüttenbergen ob Obstalden, während Jahrzehnten an schönen Wochenenden Tee für die Touristen, die in den Fünfziger- und Sechzigerjahren zu Hunderten über den Mürtschen kamen. Die Modetour par excellence und erst noch billig, da die SBB Extrabillette ausgaben: Zürich-Näfels und retour ab Mühlehorn. Peter, der kürzlich verstorben ist, erzählte gerne, wie er damals auch immer wieder Touristen mit Beinbrüchen im Rettungsschlitten zu Tal führte. Es gab ja noch keine Sicherheitsbindungen.
Querung im Steilhang hinauf zum Robmen, mit stets etwas ungutem Gefühl, doch diesmal scheint der Hang zu halten, der Schnee an der Sonne schon gesetzt. Gut gespurt alles. Und in der Abfahrt noch eine Erinnerung unter vielen, die mit dem Schilt verbunden sind. In einem Steilhang vom Bärenbodenchamm hinunter zur Meerenalp deckte vor wenigen Jahren eine Lawine drei Touristen zu, darunter Vater und Sohn, ehemalige Nachbarn aus Zürich, Glarner und gute Bergsteiger. Alle drei tot. Es hatte tiefen Neuschnee, ein Traum zum Fahren. Ein Alptraum.
Dann Obstalden, unser Haus, das gerade einen Tag zuvor in andere Hände übergegangen ist. Sonne im Garten. Ein bisschen Heimweh.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert