Schnebelhorn

Heutzutage zählt im Alpinismus nur noch die Superlative: der Älteste am höchsten Berg der Welt, der jüngste oder der schnellste. Um mithalten zu können haben wir uns vorgenommen, auch einen höchsten Berg zu besteigen, den höchsten des Kantons Zürich.


Der Morgen ist noch kühl und wolkig und vor dem Gipfelgang entscheiden wir uns für Gipfeli in der fein duftenden Konditorei Voland in Steg. Neben uns lassen sich ein paar Damen in weiten Kleidern aus Naturfasern nieder, ein Jogakurs. Dann schon lieber aufs Schnebelhorn! Ich bin in der Gegend aufgewachsen, als Kinder nannten wir den höchsten Zürcher Berg «Schnäbelihorn». So Dinge fallen einem ein während des Wanderns. Und dass da an der Abzweigung in die Ohrüti der Polizeiposten der Gemeinde war, wo wir mal zu Strafarbeit verdonnert wurden, jäten in der Baumschule hinten im Tal gegen die Tössscheide. Wir, also vor allem ich, hatten am Dägelsberg ein Stück Wald in Brand gesteckt. Zum Glück waren Pfadfinder in der Nähe.
Aber nun gehts bergauf, steil und schon brennt die Sonne. Geradewegs zum Schulhaus Strahlegg, dem «Obersten Vorposten der Kultur», wie Otto Schaufelberger den Ort nannte, wo er 1920 bis 1923 die Achtklassenschule unterrichtete. Wir fotografieren. Kürzlich habe ich sein Buch «Menschen am Schnebelhorn» wiedermal gelesen, mit grossem Vergnügen. Vor allem die vielen Liebesgeschichten des umschwärmten Junglehrers. Leider ist das Werk inzwischen vergriffen, nach einem Dutzend Auflagen im Lauf von vierzig Jahren. Uns hat es auf die Idee gebracht, wiedermal hier hinauf zu wandern. Inzwischen ist es schon ziemlich heiss geworden. Also kurze Rast im Bergbeizli «Tierhag», wo es feine Nussrollen gibt, ebenfalls von Voland. Ein Rentnerpaar mit Wanderstöcken ist aus dem Toggenburg heraufgestiegen und freut sich ab dem «endlich mal schönen Wetter». Wir Rentner ohne Wanderstöcke ja auch.
Dann zum Gipfel oder wenigstens beinahe. Ich hoffe, das gibt keine Diskussionen in Alpinen Kreisen wie damals, als Maurice Herzog und Lionel Lachenal 1950 den Gipfel der Annapurna erreichten, aber eben auch nur beinahe. Scheints lag es an der Wächte, bei uns liegt der fragwürdige Gipfelsieg an zu viel Kuhmist. Zusem sitzt auf dem Gipfel eine Herde von Wanderern mit ihren Stöcken und Säcken ums Kreuz versammelt.
Wir wenden uns der Gratwanderung über Schindelberg und so weiter bis auf die Kreuzegg zu. Unterwegs retten wir eine Mutter mit vier Kindern aus Bergnot, bzw. zeigen ihr den Weg. Dann Abstieg nach Schutt am Atzmännig in den Trubel des kleinen Europaparks mit Sesselbahn, diversen Rutschbahnen, Streichelzoo, Campingplatz, Trailer- und Hochseilpark und hundert andern Vergnügungen. Auf einer Infotafel habe ich unterwegs gelesen, dass die Nagelfluhbänke an der Kreuzegg noch immer in Bewegung sind. Es besteht also Hoffnung, dass aus Schutt wieder mal wirklich Schutt wird. Wir vergnügen uns mit einem Glacé bis uns das Postauto aus dem Rummel erlöst.

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