Schnee

Der Winter ist noch nicht vorbei. Auch wenn es im Wallis schon frühlingshaft mild war. Schnee ist angesagt – ganz sicher zwischen Buchdeckeln. Und im brandneuen Fundbüro für Erinnerungen im Alpinen Museum der Schweiz in Bern.

« – U-u-u-uh – sang der Schneesturm auf dem Dachboden, und irgendetwas schlug drauβen wütend im Wind, vermutlich das Aushängeschild der Zemstvohütte. – U-u-u-uh! »

Könnte Petra gewesen sein, dieser wütende Wind, der in der Nacht von Montag auf Dienstag durch die Schweiz raste – als Schneesturm allerdings nur in höheren Lagen. Und Zemstvo hört sich mehr nach Russland als nach Oberland an. Das lautmalerische Zitat stammt aus der Erzählung „Auf Dienstreise“ von Anton Čechov, einem der grössten und bekanntesten russischen Erzähler und Dramatiker. Er veröffentlichte 1899 die Geschichte von zwei Staatsangestellten, die zu einer Untersuchung aufs Land fahren müssen und in einen Schneesturm geraten; auf deutsch erschien sie erstmals 2015 im Diogenes-Erzählband „Die Dame mit dem Hündchen“. Nun hat Christine Stemmermann 25 von Peter Urban übersetzte Čechov-Geschichten ausgewählt, in denen der Winter Regie führt, mal dramatisch, mal sonnig, manchmal auch nur nebenbei wie bei der oben erwähnten Dame. Einer meiner liebsten Texte handelt vom Schlitteln – beim Lesen spürt man den Wind, der beim Runtersausen ins Gesicht bläst. Kurz: „Wintergeschichten“ ist die passende Lektüre für Nachmittage, wenn man im T-Shirt an einer Stallholzwand hockt, mitten in weisser Landschaft, und natürlich auch für Abende, wenn es draussen so richtig chuttet.

Wenn – genau! Wenn es wieder mal richtig Winter wäre, auch in tieferen Lagen. „Wo ist der Winter“, fragt sich Michael Schophaus in „Schnee. Eine Liebeserklärung an den Winter“. In 12 Kapiteln befasst sich der Journalist, der seine ersten Abfahrten von weiss angehauchten Anhöhen im Ruhrgebiet machte, mit der vergänglichen Materie. Spricht über Schneekanonen, begleitet Skiasse, trotzt Schneestürmen auf der halben Welt. Zuweilen wirkt seine Schreibe etwas angestrengt cool. Doch was er hier schreibt, sollte uns nicht kalt lassen: „Sicher werden uns die Enkel eines Tages fragen, wieso wir so viele Bretter vor dem Kopf hatten, als es hieβ, den Winter zu retten. Wenn sie sich darüber beklagen, warum sie keine Schneemänner mehr bauen können, wie wir es machten, als wir klein waren.“

Wenn hierzulande die Schneemänner verschwinden und die Pisten grünen, dann hat es ja vielleicht Schnee in Norwegen und Bulgarien, auf Island oder Kreta, in den Pyrenäen oder Abruzzen, in der Hohen Tatra oder Sierra Nevada – in letzterer ganz sicher, wenn das Gebirge so heisst. Alle Traumziele für Skitouren, wie Stefan Stadler mit dem knapp 500seitigen Führer „Abenteuer Skitouren – Best of Europa“ zeigt. Dumm nur, dass man dorthin meistens fliegen muss und so zur Erwärmung des Klimas beiträgt. Die Abruzzen allerdings liegen locker in Bahn-Mietauto-Reichweite, und wenn man den braven Monte Blockhaus (2140 m) im Majella-Gebirge, den bösen Corno Grande (2912 m), den höchsten Gipfel des ganzen Apennins, und die andern vorgeschlagenen Touren er-fahren hat, dann könnte man noch den Monte Gorzano (2458 m) anhängen, der sich am Nordrand der Abruzzen erhebt. Dort mal runterzukurven, das wär’s! Wir sind im Herbst 2018 runtergewandert…

„Quo vadis Sciatore?“ steht auf dem Plakat, das Franz Lehnart 1947 für das Trentino geschaffen hat; es zeigt einen Eisbär, der mit Ski auf den Schultern und einer Pfeife in der Schnauze munter durch Schneefall wandert. Auf einem Plakat für Cortina d’Ampezzo liess der Künstler ein Mädchen schlitteln, das lächelnd einen Schneeball zu werfen gedenkt. Zwei seitengrosse Abbildungen aus „Il libro della neve. Avventure, storie, immaginario“. Darin befasst sich Franco Brevini ausgiebig und umfassend mit dem Schnee in allen Formen und Schichten, Jahreszeiten und Ländern, in Kunst und Literatur, im Film und Krieg. Rund 300 farbige und schwarz-weisse Abbildungen, ein umfangreiches Literaturverzeichnis und ein Stichwortverzeichnis von Abetone (Skiort im nördlichen Apennin) über Hölderlin und Holmenkollen, Tomba und Turner bis Mathias Zdarsky verweisen auf die Breite und Dicke dieses Buches vom Schnee. Es empfiehlt sich auch denjenigen, die Schnee nur als Meringue mögen.

Apropos Verpflegung: Bei Pommes und Punsch feiert das Alpine Museum der Schweiz am Freitag, 14. Februar 2020, ab 18.30 Uhr die Eröffnung seines neuen interaktiven Sammlungsformates „Fundbüro für Erinnerungen“. Im Zentrum stehen nicht die Dinge, sondern die Geschichten dahinter – erzählt von den Besucherinnen und Besuchern. Das erste Thema heisst „Skifahren“. Welche Spuren hat das Skifahren hinterlassen? Welche Erlebnisse und Gegenstände sind geblieben? Vielleicht auch: Wie und wo werden wir in Zukunft skilaufen? Auf geht’s in dieses Fundbüro, mit und ohne Ski auf den Schultern. Als erste Persönlichkeiten bringen ihre Objekte und Geschichten an den Helvetiaplatz: Marie-Theres Nadig am Sonntag, 23. Februar 2020, 11 Uhr; Beni Thurnheer am Samstag, 28. Februar 2020, 17 Uhr.

Anton Čechov: Wintergeschichten. Diogenes Verlag, Zürich 2019, Fr. 30.-
Michael Schophaus: Schnee. Eine Liebeserklärung an den Winter. AT Verlag, Aarau 2019, Fr. 30.-
Stefan Stadler: Abenteuer Skitouren – Best of Europa. Die schönsten Skitouren zwischen Island und Kreta. Panico Alpinverlag, Köngen 2020, Fr. 50.- Erhältlich bei Piz Buch & Berg, www.pizbube.ch
Franco Brevini: Il libro della neve. Avventure, storie, immaginario. Il Mulino, Bologna 2019, € 45.-

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