Herbstferien in den Abruzzen. Und was nimmt man heim aus den Bergen und vom Strand? Bücher von glücklichen und unglücklichen Abenteuern im Winter.
„Speriamo di raggiungere Pietracamela. I piedi nelle medesime condizioni. Tempo pessimo.”
Was für ein trauriger, letzter Eintrag von Paolo Emilio Cichetti im Hüttenbuch des Rifugio Garibaldi vom 12. Februar 1929. Fast nicht mehr leserlich, weil mit der Faust geschrieben; die Finger abgefroren genauso wie die Füsse, seine und die des Gefährten Mario Cambi. Am Freitag, 8. Februar 1929, waren die zwei erfahrenen Alpinisten, Mitglieder der Sektion L’Aquila des Club Alpino Italiano, vom Dorf Assergi ob L’Aquila ins Rifugio Garibaldi im Gran Sasso-Gebirge aufgestiegen, bei sehr viel Schnee; die Hütte mehr oder weniger eingeschneit, auch drinnen, und es fehlte eine Schaufel. Missliche Verhältnisse also, und trotzdem versuchten die beiden Unentwegten anderntags die erste Winterbegehung des Südostgrates des Corno Piccolo (2655 m) über die Route Chiaraviglio-Berthelet. Allein der viele Schnee, die grässliche Kälte und die hereinbrechende Nacht verhinderten den vollen Erfolg. Immerhin fanden sie noch Zeit, mit dem Selbstauslöser ein Foto zu machen: Paolo schaut noch zuversichtlich drein, die Sonnenbrille locker in die Haare geschoben; Mario hingegen ist gezeichnet, ein Verband hängt über seinem linken Auge, gehalten von der Sonnenbrille.
Das Foto bildet das Titelbild eines reich illustrierten Buches, das ich am vorletzten Sonntag im Rifugio Duca degli Abruzzi nach der erfolgreichen Besteigung des Corno Grande (2912 m) fand, des höchsten Gipfels der Abruzzen und des ganzen Apennins überhaupt: „Febbraio 1929: L’ultima ascensione di Mario Cambi et Paolo Emilio Cichetti“ von Pasquale Iannetti. Es beginnt mit dem Eintrag von Paolo im Buch des Rifugio Garibaldi und legt dann die ganze Tragödie frei. Denn die zwei Winterbergsteiger sollten nie in Pietracamela ankommen: Paolo Emilio Cichetti wurde am 18. Februar drei Kilometer vom Dorf entfernt gefunden, Mario Cambi erst am 25. April, weiter weg tief unter dem Schnee. An beiden Fundorten wurde ein Grabmal errichtet. Am Corno Grande gibt es seither einen Torrione Cambi, am Corno Piccolo einen Torre Cichetti.
Das Buch geht aber über die letzte Tour der beiden Unglücklichen hinaus, deren Leben und Touren mit Text und Bild beschrieben sind. Pasquale Iannetti schildert die Zwischen- und die Kriegszeit im Gran Sasso d’Italia; Kletterer, Skifahrer und normale Touristen zogen ihre Runden, später dann Soldaten. Namen tauchen auf, die wir eher aus den Alpen kennen; so Aldo Bonacossa und Ninì Pietrasanta, die vom 13. auf den 14. März 1932 die erste Skidurchquerung des Gran Sasso von Ost nach West unternahmen, wobei sie auch im Rifugio Garibaldi vorbeikamen.
Skifahren in den Abruzzen: Das geht natürlich bestens, schliesslich liegt in den Bergen dort oft viel Schnee. Roccacaramanico auf 1050 Meter über der Adria in der Provinz Pescara gilt als einer der schneereichsten Orte von ganz Italien mit durchschnittlich drei Metern Schnee pro Saison; im Februar 1929 lagen dort gar zehn Meter. Der Ort befindet sich im Parco Nazionale della Majella, in einem Hochtal zwischen dem Massiccio della Majella und den Montagne del Morrone. Dass sich deren Gipfel wie der Monte Amaro (2793 m) allerbestens für Skitouren eignen, erfährt man in „Majella l’altra neve. Attività sportive ed escursionnistiche invernali nel Parco Nazionale della Majella“. Ich fand den Führer in der Libreria Europa im Zentrum von Ortona, einer quirligen Stadt an der Adria.
Meer und Berge – beziehungsweise Meerberge oder mehr Berge. Gerade in den Abruzzen ist das erfahrbar, zum Beispiel in Roccaraso am Südrande des Parco Nazionale della Majella. Bis vor zwei Wochen hatte ich noch nie von diesem (Ski)ort gehört, obwohl er doch eines der Zentren des Pistenskilaufs in Mittelitalien ist – „la Cortina d’Ampezzo del Sud“ wird Roccaraso genannt. Wie die Eisenbahn den Startpunkt setzte und wie es dann aufwärts ging mit Wettkämpfen und Sprunganlagen, Hotels und Liften, entwickelt Ugo Del Castello in „Roccaraso – due solchi sulla neve lunghi 100’anni“. Den Bildband entdeckte ich in einer Papeterie in Vasto am Meer.
Zwei Spuren im Schnee – oder wenigstens zwei Bretter auf dem Schnee. Am Wochenende vom 27./28. Oktober 2018 geht es los, nicht im Apennin allerdings, sondern in den Alpen. Der Skiweltcup startet in Sölden.
Pasquale Iannetti: Febbraio 1929: L’ultima ascensione di Mario Cambi et Paolo Emilio Cichetti. Artemia Nova Editrice; Mosciano 2018, € 28.-
Majella l’altra neve. Attività sportive ed escursionistiche invernali nel Parco Nazionale della Majella. Edizioni Parco Nazionale della Majella, Sulmona 2017, € 8.-
Ugo Del Castello: Roccaraso – due solchi sulla neve lunghi 100’anni. Paolo de Siena Editore, Pescara 2010, € 15.-