Schneegeschichten

Hahnenkamm ob Kitzbühel und Inferno ob Mürren: Skirennfahren steht an diesem Wochenende zuoberst, wenn nicht im Schnee, so doch am Bildschirm. Wer lieber Skigrössen auf Papier nachfährt, kann dies in zwei druckfrischen Publikationen tun. „Mit dem Finger in den Schnee geschrieben“, wie es Clo Duri Bezzola vor 20 Jahren formulierte.

„Greifen solche Wettrennen weiter über in unser eigentliches Gebiet, z.B. zum oder vom Gipfel des Kitzbüheler Horns, so erheben wir lauten Protest, sperren für solche Tage unsere Schutzhütten, die in diesem Gebiet liegen, verbieten Wege und Grundstücke, wo wir Besitzer sind, und suchen überhaupt durch eifrige Propaganda solche Entwürdigung unserer lieben Berge möglichst zu hindern.“

Protest von Mitgliedern des Deutschen und Oesterreichischen Alpenvereins gegen den Skilauf im Allgemeinen und gegen Skirennen im Besonderen, erhoben in den „Mitteilungen des DuOeAV“ von 1910. Genützt hat der Protest nix, der Skilauf nahm weiter Fahrt auf, die Wettkämpfe am Kitzbüheler Horn wurden zu einem der Höhepunkte des Skiweltcups. Vom Skifahren in den Bergen von Kitzbühel schrieb nun einer, aus dessen Schriften normalerweise beim sommerlichen Bergsport zitiert wird, insbesondere zum freien Klettern ohne den Gebrauch von Mauerhaken. Dass Paul Preuss auch ein begeisterter Skitourenfahrer war und über die Fortbewegung in den winterlichen Bergen lesenswerte Spuren hinterliess, ist weniger geläufig. Für Giorgio Daidola, den 1943 geborenen italienischen Skipapst und Telemarkguru, gehört Preuss zu den zwölf wichtigen Figuren in der Geschichte des Skialpinismus im Allgemeinen und zu seiner eigenen im Besonderen.

„Sciatori di Montagna. 12 storie di chi ha fatto la storia dello scialpinismo“ heisst das druckfrische Buch von Giorgio Daidola, darin er bekannte und vergessene Pioniere des Skibergsteigens vorstellt: Wilhelm Paulcke, Piero Ghiglione, Paul Preuss, Marcel Kurz, Ottorino Mezzalama, Léon Zwingelstein, Ettore Castiglioni, Toni Gobbi, Philippe Traynard, Heini Holzer und Michel Parmentier. Arnold Lunn ist selbstverständlich bei diesem illustren Dutzend dabei; sein von ihm gestartetes Inferno-Rennen am Schilthorn in Mürren wurde erstmals am 29. Januar 1928 ausgetragen und findet morgen Samstag, 20. Januar 2018, zum 75. Mal statt. Illustriert ist das rucksacktaugliche Buch mit einigen schwarzweissen und farbigen Fotos, darunter zwei kaum bekannten des Schweizers Marcel Kurz. Am Schluss stellt Leonardo Bizzaro zwölf Bücher näher vor, „che hanno fatto crescere lo scialpinismo“. Darunter „Alpinisme hivernal. Le skieur dans les Alpes“ von Kurz aus dem Jahre 1925 und die beiden grossartigen und –formatigen Bildbandführer „Les grands raids à ski“ von Michel Parmentier von 1983/84. Sie alle, inklusive das neue Buch von Daidola, bereichern eine Skibibliothek aufs Schönste.

Das tut gleichfalls der 44., im November 2017 erschienene Band von „Quarto“, der viersprachigen Zeitschrift des Schweizerischen Literaturarchivs SLA. „Scrit … en la naiv“ ist der Titel dieses von Annetta Ganzoni konzipierten und betreuten Bandes: „… in den Schnee geschrieben“. Im Editorial fragt sie sich, ob „Schriftsteller aus den Bergen eine besondere Beziehung zum Schnee“ haben. Die vielfältigen Antworten stammen hauptsächlich aus der bündner romanischen Literatur wie Cla Biert oder Andri Peer, aber auch von Gerhard Meier oder Maurice Chappaz. Aus dem Kinderbuch „La naivera“ (Der grosse Schnee) von Selina Chönz und Alois Carigiet werden – passend zu den starken Schneefällen der letzten Zeit – diese Zeilen zitiert: „Die grosse Wächte löst sich oben,/man hört ein Sausen und ein Toben,/und eine dicke Wolke Schnee/rollt dumpf zu Tal, o weh, o weh!“ Das Heft ist mit „schneereichen Fotos und Manuskripten aus Privatarchiven und aus Archiven und Nachlässen des SLA illustriert“ – schön und einzigartig wie eine Schneeflocke.

Damit wären wir wieder oben am Start. Und freuen uns auf das hier, das in den „Mitteilungen des DuOeAV“ von 1910 auch geschrieben steht: „Und ist eine flotte Abfahrt – auch wenn es um die Wette geht – nicht herrlich? Ist es nicht alpin, sein Können mit der Natur des Berges so in Einklang zu bringen, dass wir in sausendem Fluge sturzlos zu Tal eilen?“

Giorgio Daidola: Sciatori di Montagna. 12 storie di chi ha fatto la storia dello scialpinismo. Prefazione di Daniel Anker. Mulatero editore, Piverone (TO) 2017, € 19.-

Quarto n. 44/2017: „Scrit … en la naiv“ – „… in den Schnee geschrieben“. Concezpt e redacziun Annetta Ganzoni. Archiv svizzer da litteratura, Berna 2017. Erhältlich in der Schweizerischen Nationalbibliothek in Bern, bei den Éditions Slatkine in Genf oder im Buchhandel, Fr. 15.-

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