Schneegeschichten

Bücher und Begegnungen mit dem flüchtigen Element Schnee. Sich warm anziehen, bitte!

«Ich erreiche die Alp von Rodomont Derrière. Aus einem breiten Schornstein steigt Qualm auf und sagt mir, dass die Käser an ihren Kesseln stehen. Kein Hund bellt. Richtung Gstaad erkenne ich das Weiß des Palace Hotels und die von Skiliften wie von Reißverschlüssen durchzogenen Wälder. Ich laufe wieder querfeldein. Den Kuhfladen ausweichend, steige ich dem Plateau des einstigen Adlerhorstes entgegen, jener Stelle, an der Springers Chalet gestanden hat.»

Ausschnitt aus «Ein Sonntag in den Bergen» des Genfer Schriftstellers Daniel de Roulet. In diesem 2006 erstmals auf Französisch und Deutsch veröffentlichten Bericht erzählt er, wie er am 5. Januar 1975 zornig und blind das Chalet von Axel Springer auf dem Gipfel von Rodomont Derrière (1857 m) oberhalb von Rougemont im Pays d’Enhaut abgefackelt hat. Jahre später, aber nun im Hochsommer, zog es de Roulet zurück an den Ort der Untat und findet ein paar kümmerliche Überreste, an denen eine Kupfertafel mit dem Bild des Schweizer Nationalheiligen Niklaus von der Flüe und einem zweisprachigen, schwer verständlichen Zitat angebracht ist. Nun ist eine Neuauflage dieses Berichts erschienen, der nicht nur die Beweggründe für das Abfackeln nachvollziehbar macht, sondern der ebenfalls eine Ski(tour)geschichte ist. Im Nachwort zur Neuauflage schreibt de Roulet, wie unterschiedlich «Un dimanche à la montagne» in Frankreich und Deutschland bzw. in der Schweiz aufgenommen wurde. Seine Verleger mussten 2006 beteuern, «der Autor habe nicht vorgehabt, sich mittels dieses Buchs zu bereichern, vielmehr habe er sein Honorar den Feuerwehrleuten zukommen lassen, die durch seine damalige Brandstiftung mitten in den Nacht aufgescheucht worden seien.» Mehr noch: Mit seinem Geständnis habe er 2006 die Gemeinde Rougemont von einem Fluch erlöst. Mehr sei hier nicht verraten.

«Um den See herum war es zu flach, um zu fahren. Stille umgab Lena, während sie am Ufer entlangging, lediglich das Geräusch ihrer Stöcke, die sich rhythmisch in den Schnee gruben, war zu hören. Winterkind, das sie war, liebte sie normalerweise die Stille, die den Winter für sie so besonders machte. Nur der Schnee, der alles zudeckte und alle Geräusche dämpfte, vermochte diese Art von Ruhe hervorzubringen. Heute aber war sie zu unruhig, um ihre Wanderung durch die Winterlandschaft zu genießen. Vor ihrem geistigen Auge spulte sich bereits die Rettungsaktion ab.»

Lena Veith ist Leiterin der Bergwacht im fiktiven Ort Bichlbrunn unweit von Garmisch-Partenkirchen – und Hauptperson in der Trilogie «Die Bergwacht» von Sophie Zach; so das Pseudonym einer Autorin von Krimis, Liebes- und historischen Romanen. Die beiden ersten Bände habe ich vorgestellt: https://bergliteratur.ch/gipfelsturm-und-liebe/. Im dritten Band, «Schneetreiben», muss Lena mit ihren Leuten und alleine Folgendes retten: einen verunglückten Gleitschirmflieger, steckengebliebene Gondelbahnfahrer, im tief verschneiten und fast unzugänglichen Gelände sich verirrte Jugendliche, ein Mädchen und seinen Hund, die von einer grossen, wegen Abholzen des Schutzwaldes niedergegangenen Lawine verschüttet wurden, dazu ihre Tante Res, die ganz alleine oben auf einem Berg haust – und ihre Liebe zum Ranger Ben Fellner. Wenn das nur ein Happyend gibt!

Der Abend kommt von weit gegangen
durch den verschneiten, leisen Tann.
Dann preßt er seine Winterwangen
an alle Fenster lauschend an.

So beginnt ein winterliches Gedicht von Rainer Maria Rilke (1875–1926); 2025 und 2026 sind Rilke-Jahre. Das Gedicht fand ich neben ein paar anderen im Bildband «Winterreise. Deutschland in der kalten Jahreszeit». Nein, diese Publikation steht nicht für die politische Stimmung im Nachbarsland, die gar eiskalt werden könnte. Alexandra Schlüter nimmt uns mit auf eine sonnige und auch neblige, idyllische und positive Reise durch ein verschneites Deutschland – wie schön und geheimnisvoll, die Sächsische Schweiz, die Hallig Oland in der Nordsee, der Lusen (1373 m) im Bayerischen Wald oder die Lüneburger Heide, wo die Sachbuchautorin wohnt, in Weiss. Und wenn wir vielleicht grad keine Zeit finden, nach St. Märgen im Hochschwarzwald oder an den Schönberger Strand an der Ostsee zu reisen: lesen geht immer, beispielsweise das Gedicht «Wenn es Winter wird» von Christian Morgenstern.

Apropos lesen und reisen. Und gehen und fahren im Schnee. Vom 28. bis 31. Januar 2025 findet im Montafon ein Hemingway-Revival statt. Ernest Hemingway verbrachte mit Frau, Geliebten und Schriftstellerkollegen John Dos Passos zwei Winter (1924/25 und 1925/26) in Schruns; mehr dazu hier: www.montafon.at/hemingway. In «Paris, ein Fest fürs Leben» gedenkt der skifahrender Nobelpreisträger jener Zeit:

«Ich erinnere mich, wie der Schnee auf der Straße zum Dorf knirschte, wenn wir mit unseren Skiern und Skistöcken auf den Schultern in der Kälte nach Hause gingen, wie wir nach den Lichtern ausschauten und dann schließlich die Häuser sahen und wie jeder auf der Straße ‹Grüß Gott› sagte.»

Daniel de Roulet: Ein Sonntag in den Bergen. Ein Bericht. Neuauflage mit einem Nachwort des Autors. Limmat Verlag, Zürich 2025. Fr. 30.-

Sophie Zach: Die Bergwacht. Band 3: Schneetreiben. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Hamburg 2025. € 13,00.

Alexandra Schlüter: Winterreise. Deutschland in der kalten Jahreszeit. Prestel Verlag, München. € 36,00.

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