Schnurstracks durch die Schweiz

Direttissima 2.0: Mit Thömi und Annette quer durch die Schweiz. Viel Spass!

«Schweizer erproben neue Form des Alpinismus.»

Mächtig stolz war ich auf diese Schlagzeile des „Alpin Magazin“ im Oktober 1983. Mein erster Artikel für eine Bergsportzeitschrift hatte es gleich auf die Frontseite geschafft. Dem damaligen „Alpin“-Herausgeber Reinhold Messner gefiel die Geschichte, wie Schweizer eine alpine Disziplin erfinden, nämlich die „Expedition in die Heimat“. Titel der dreieinhalb-seitigen Story im Heftinnern: „Neue Direttissima“. Ich berichtete, wie im Sommer 1983 Initiant Markus Liechti mit seinen Freunden Daniel Bähler und Kurt Saurer – für die Strecke von Lauterbrunnen über das Schreckhorn zur Furkapassstrasse verstärkt um Toni Steiner – die Schweiz auf der längstmöglichen Geraden durchquerte: auf dem Breitengrad 160 des schweizerischen Kilometernetzes vom Grenzstein 183 im Westen bis zum Klein Tartscher Kopf (2917 m) im Osten. 333 Kilometer misst die Gerade, der die Berner an 23 Tagen über alle Hindernisse hinweg folgten, mit einer 500-Meter-Toleranzgrenze nach Süden und Norden. Nur gerade dreimal mussten „die geradlinigen Eidgenossen“ ihren Ein-Kilometer-Korridor verlassen. Ihre Unterstützungsequipe bestand aus einem Reporterteam des Deutschschweizer Radios, das die Direttissima-Begeher während des ganzen Gewalttrips begleitete, mit täglichen Direktreportagen. Ein voller Erfolg für alle Akteure.

„Ich erinnere mich gut, wie fasziniert ich von der Berichterstattung war, die ganz meinem Abenteuergeschmack entsprach“, lesen wir im Buch „Schnurstracks durch die Schweiz“ des Berner Fotografen, Filmers und Abenteurers Thomas Ulrich. „Und so entschied ich mich dazu, nach allen meinen Expeditionen in weit entfernte Gebiete, den Blick für einmal auf die eigene Heimat zu lenken. Die Direttissima-Idee ist einfach zu gut, um sie zu versenken. Wo bringt mich die Route überall hin? Was hat sich seit 1983 verändert? Und: Schaffe ich es, im Unterschied zu meinen Vorgängern, kein einziges Mal den Sektor zu verlassen?“

Thomas Ulrich schaffte es im Sommer 2017, meistens alleine. Auf der hochalpin schwierigsten Strecke quer durch Eigerwände, über Schreckhorngrat und Grimselgranitgletscher zum Beispiel begleitete ihn Kurt Knöri. Im Sektor 160 blieb er auch, sogar dort, wo er mit dem Gleitschirm ein paar heikle und/oder unpassierbare Abschnitte überflog. Den Lai da Sontga Maria am Lukmanierpass querte er, schön brav auf der Linie 160 rudernd, auf einem Stand Up Paddle Board.

Nun ist das Buch zur Direttissima 2.0 erschienen, flott geschrieben von Annette Marti, illustriert mit vielen tollen Farbfotos, die meisten von Thomas Ulrich. Da und dort fehlt eine Bildlegende; nachvollziehbarer wäre es, wenn bei den Fotos jeweils die Koordinaten stünden, so dass die Leser noch mehr staunten, in welch verrücktem Gelände sich die helvetischen Direttissima-Begeher fortbewegen mussten. Ein erfrischender Bildband über einen bekannten Schweizer Abenteurer, über Expeditionsmöglichkeiten vor der Haustüre, über eine unbekannte Schweiz.

Ein Tipp für die Nachfolger von Markus, Thömi & Co: Statt West-Ost Nord-Süd durch die Schweiz, auf dem helvetischen Längengrad 723 (heute 2.723 geschrieben) von Ermatingen am Bodensee über das Rheinwaldhorn bis zum Grenzstein 74 südlich von Chiasso; der südlichste Punkt der Schweiz beim Grenzstein 75.B liegt noch im Korridor. Ich bin dabei.

Thomas Ulrich (Fotos), Annette Marti (Text): Schnurstracks durch die Schweiz. Parkour durch die Natur. Delius Klasing Verlag, Bielefeld 2020, Fr. 25.-

Markus Liechti u.a.: Direttissima Schweiz. Abenteuer auf Kilometer 160. Edition Erpf, Bern 1983. Erhältlich zB. auf www.zvab.com.

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