Rentner sind eine eigene Spezies, der Begriff erinnert an Rentier und irgendwie haben die beiden Wesen etwas miteinander zu tun. Sie lieben den Schnee, sie sind schnell, es sind Fluchtwesen. Fragt sich, wovor sie flüchten? Gedanken eines Rentners beim Fellen.
Der Parkplatz liegt noch im kalten Schatten, als die Männer ihren geheizten Allradfahrzeugen entsteigen, bärtig und weisshaarig, die Felle sind aufgespannt, das Lawinensuchgerät umgeschnallt. Einschalten, in die Bindung treten, Blick auf die Uhr und dann geht’s los. Noch vor den andern, den jüngern, die auch eben eingefahren sind und natürlich noch die Felle aufkleben müssen und auch sonst herumtrödeln. In Einerkolonne folgt man der Spur, scharf das Tempo gleich zu Beginn, schweigend und verbissen im Zickzack den Hang hinauf. Paul voran wie immer, es ist seine 27ste Skitour diesen Winter und die dritte auf diesen Gipfel, wie alle andern führt er Buch; im Frühling werden es gegen 70 Touren sein, so der Jahresschnitt, in einem Superwinter stand er gar 156 Mal auf den Latten. Er schaut auf die Uhr, heute, mit den andern, gibt’s keine Rekordzeit wie letzte Woche, als er allein nach zwei Stunden, siebzehn Minuten und ein paar Sekunden die Hand ans Gipfelkreuz schlug. Heute ist wenigstens Max nicht dabei, der Bremsklotz. Er müsse im Ferienhäuschen im Tessin was an der Heizung machen, weiss Nobi. Sei ja wohl eine Ausrede, Max merke wohl selber, dass er den andern allmählich zur Last falle. Geht ja auch schon gegen die achtzig. Paul platzierte dann den Witz des Tages: Früher zogen sich die Alten auf einen Berg zurück oder in die Wälder, wenn sie nicht mehr mitkamen. Heute ins Ferienhäuschen im Tessin. Alle lachten, aber eigentlich fanden sie die Bemerkung gar nicht so lustig. Eigentlich ziemlich daneben, typisch Paul eben. Und jetzt, beim Aufstieg, fragt sich der eine oder andere: Und ich? Wann bin ich dran? Und dann beisst er wieder auf die Zähne, denn jetzt tauchen die andern auf, ziemlich dicht schon dran, und Paul legt einen Zacken zu. Die sehen zwar auch schon wie Pensionierte aus, frühpensioniert wohl, dass die unter der Woche losziehen können. Und dann noch mit Frauen dabei. Mein Gott. Früher kamen die Frauen ja auch noch mit auf Tour, aber Alice ist schon länger verstorben, und für die andern war es ja mehr Pflicht. Heute sagen sie, ich bin froh, ist er aus dem Haus, sonst steht er mir nur in der Küche herum. Ja Alice, die hatte noch Charakter. Konnte jassen und in den Hütten war sie immer bei den Letzten, die unter die Decken krochen. Paul hat inzwischen eine neue, eine aus dem fernen Osten. Haushälterin sozusagen. Man spricht nicht darüber, nur als Paul einmal fehlte, meinte Max: Vielleicht kann sie ja Wasserski fahren. Und Nobi nuschelte was von Piz Matratz und so. Na ja. So sind halt die Zeiten. Und die Jungen da hinten drängen, stehen Nobi schon fast auf die Ski, gerade jetzt, wo es noch steiler wird vor der Hütte. Aber zur Seite treten kommt nicht in Frage, überholen links, heisst es ja auch im Verkehr. Der letzte Hang, man riecht schon den Kaffee fertig. Das kämpfen wir noch durch, so wie wir uns durchs Leben gekämpft haben, mit Haken und Ösen. Es ist, als sei einem da hinten das Gerippe auf den Fersen, das mit der Sichel und dem Stundenglas. Als gehe es darum, den letzten Funken Leben zu verteidigen gegen das Unwiederbringliche, das einen doch irgendwann einholt. Wie den Werni letzten Sommer auf dem Weg über den Sardonapass. Das Herz halt. Bei der Hütte lassen wir die andern ziehen, der Kaffee hier gehört zur Tradition. Die zwanzig Minuten werden von der Marschzeit abgezogen, wenn man sie zu Hause einträgt.
Lieber Emil
Nicht langweilig, spannend und treffend ist der Skirentnerbeitrag. Kenne ich gut, diese Zählerei. Vergesse nie, wie mein Nachbar Hans Peter und ich in Vermol aus dem Kleinwagen stiegen und die Felle aufzogen, derweil ein Rentner schon vom Hühnerstock runterkam und ungefragt mitteilte, dass das nun seine 30. Skitour im Winter gewesen sei. Im Gipfelbuch notierten wir dann, dass der Hüeneri Hans Peters 6. Skitour im Leben und meine 16. in dieser Saison sei. Dazu tranken wir eine kleine Flasche Süsswein aus Chile, was nicht ohne Auswirkungen auf die Abfahrt blieb…
Aber nun gehe ich ja bloss noch auf Schneeschuhtouren. Da zählt die Aufstiegszeit etwas weniger – und vom Abstieg wollen wir gar nicht reden…
Schönes Wochenende in der trockenen Stube
Daniel