So glatt war der Glatten nicht

Wäre ich doch besser ans Kaltwasserschwimmen gegangen und im Zürichsee geschwommen. Doch das sieben Grad kalte Wasser und die Nullgradtemperaturen hatten mich davon abgehalten. Im Nachhinein ist man immer schlauer. © Annette Frommherz

Geschwommen war ich den Sommer durch oft genug im nahen Moorsee, der mir Heimat ist. Meine Skier hingegen hatten den ganzen Sommer über – stark unterbeschäftigt – im Keller an der Wand gelehnt und sich im Übermass gelangweilt. Ich hatte sie vor zwei Wochen aus dem dunklen Kellerdasein befreit und sie erstmals nach draussen durch die trübe Nebelsuppe auf das Laucherenstöckli ausgeführt. Was wollte ich sie wieder links liegen lassen!
So fuhren wir durchs enge Muotathal, wo sich die urchigen Mannen mit ihren langen Bärten und mit Selbstgebranntem wärmen und die Frauen ungefragt hinter dem Herd stehen. Wir waren nicht die einzigen, die zuhinterst im schattigen Bisisthal ihre Skier fellten. Die Minusgrade liessen uns beeilen. Steil verlief die Spur, wie sie diejenige spuren, die nach dem Schneefall als ungeduldige Erste den Berg erklimmen. Meine Augen suchten nach der Sonne, die von hoch oben winkte. Wir liefen im eisigen Schattenhang. Schon bald meldete sich meine Hüfte. Fast bereute ich die zweistündige Jogging-Tour, die ich tags zuvor unternommen hatte. Ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen. Mein Partner lief zielstrebig bergan.

Die letzten steilen und eisigen Meter zum Gipfelpunkt schenkten wir uns. Mein Liebster wollte mir den Gipfelkuss erst verweigern, weil hier auf diesem Plateau der Gipfel doch fern und deshalb das Ziel nicht erreicht. Aber es brauchte nicht viel, um ihn umzustimmen.
Ein paar Kalorien später und nach einem heissen Most sonnten wir unsere bleichen Gesichter. Den etlichen Gleichgesinnten kehrten wir bald den Rücken, um ins Tal zu fahren. Da und dort liess der Schnee die Steinsbrocken nur knapp bedecken. Ein solcher kam mir denn auch in die Quere, und noch während ich stürzte, sah ich den blauen Himmel über mir und spürte den Schmerz im verdrehten Knie und Fuss. Mein Pendant eilte herbei, nahm mir den Rucksack ab und half mir auf die Beine, so gut es ging. Aber es ging nicht gut. Wir hatten noch beinahe zwölfhundert Höhenmeter hinabzufahren, und ich wusste nicht, wie ich das schaffen sollte. Aber es war, wie es immer ist, wenn einem keine Wahl bleibt: Es ging trotzdem. Irgendwie.
Tags darauf, nach stundenlangem Betrachten der weissen Decke in der Notfallkoje Nummer 3, kam ich gut ausgerüstet nach Hause: Gel, Verband, Medikamente und Krücken. Es hätte schlimmer kommen können, zum Beispiel erfrieren im sieben Grad kalten Zürichseewasser. «Das war meine letzte Skitour!» Diese Worte, die ich nach dem Sturz in einem unbedachten Moment in die Winterkulisse entlassen hatte, darf man nicht zu ernst nehmen.

5 Gedanken zu „So glatt war der Glatten nicht

  1. Liebe Annette
    Mit meiner eingeschienten Hand winke ich dir zu und wünsche alles Gute und geruhsame und glatte Feiertage.
    Emil

  2. Hey Annette, hast du die weisse Notfallkojendecke in Wetzikon bestaunt, und vielleicht alte Gesichter gesehen? Gute Besserung auf alle Fälle!
    Michèle

  3. Auch von meiner Seite, liebe Annette: Zügige, mühelose und vor allem vollständige Genesung. Vielleicht tröstet dich, dass die Bedingungen für Skitouren im Moment sowieso ziemlich übel sind, du verpasst also nichts.
    Freue mich jedenfalls auf deine nächsten Skitourentexte.
    En liebe Gruess
    Marco

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