Das Teufelsjoch brachten wir letzten Winter mit den Skiern bestens hinter uns. Weshalb also nicht zum Klettern ins Teufelsgrätli? Namen schrecken uns nicht mehr vor Taten ab. © Annette Frommherz
Unter uns sind grüne Teppiche ausgelegt. In aller Herrgottsruhe weiden die Kühe. Wir müssen höllisch aufpassen, dass ihr Glockengeläute uns nicht in Trance versetzt. Schliesslich sind wir kaum einen Katzensprung von der Berner Grenze entfernt, wo erfahrungsgemäss alles ein bisschen gemächlicher vonstattengeht. Ruhig hebt ein Bauer in Gummistiefeln seine Hand zum Gruss, und wir sind uns nicht sicher, ob er von der gestrigen Heuete müde Arme hat oder uns in Hypnose versetzen will. Ich nehme meinen Fuss vom Gaspedal, im Rückspiegel sehe ich den Landwirt, wie er uns nachschaut. Er scheint zufrieden zu sein.
Gestern schon fuhren wir Richtung Solothurn. Von weitem zogen uns die ersten Jurafalten in den Bann, die sich in einer Kette von Kalksteinfelsen von der Lägeren bis zum Genfersee ziehen. Bald erreichten wir das verschlafene Dorf Attiswil, wo uns vier Halbwüchsige wortreich und in Engelsgeduld erklärten, wie wir nach Farnern kommen sollten. Es hörte sich an, als sei es eine Weltreise, welche wir vor uns hatten, obschon wir kaum ein paar Minuten später zu den paar Häusern gelangten, die da so vor sich hinstanden und den Samstagabend begrüssten. Oberhalb des Ortes fanden wir am Waldesrand ein Schlafplätzchen in Mutter Natur, die uns mit bunten Trockenwiesen, weiter Rundsicht und später mit einem vollen Mond beschenkte.
Am nächsten Morgen sind wir bereits so weit verlangsamt, dass wir diesen beinahe verpassen und das Morgenessen im Freien kurzerhand zum Mittagessen erklären müssen. Wir erinnern uns vage daran, dass wir zum Klettern hierhergekommen sind und nähern uns deshalb der Region Rüttelhorn, wo im Sektor Teufelsgrätli allerlei Routen darauf warten, erklommen zu werden. Das Wetter zeigt sich kühl, ein Pullover lässt sich bitten, der Wind hat einen Gang höher geschalten. Meiner Idee ist es nicht zu verdanken, dass wir als Einstiegsroute die ‚Cement highway‘ wählen, eine 5c; und das, nachdem ich seit mindestens einem halben Jahr keine Kletteroute mehr von nahem betrachtet habe. Ich schlucke leer, was meinem Heuschnupfen zuzuordnen ist. Wie bin ich dankbar, auf diesem Highway keinen Gegenverkehr zu haben, ich benötige alle Kanten, Risse, Absätzchen und Löcher im Felsen für mich alleine.
Später können mir der Teufelskamin und die Verlängerung dieser Route nicht mehr viel anhaben. Auch die Route Teufelsgrätli komme ich hoch – allerdings im Nachstieg und mit vollem Einsatz aller erdenklichen Muskeln, Sehnen und Flüchen. Unterwegs im Felsen begegnen mir blühendes Berg-Steinkraut und Felsen-Bauernsenf, dessen Namen ich erst zu Hause herausfinden werde. Mir ist, als wachsen die Pflanzen immer genau dort, wo ich meinen Fuss hinsetzen will oder eine besonders griffige Kante entdeckt habe. Den Gipfel erreiche ich mit blutigen Fingern und zittrigen Beinen. Es erinnert mich daran, wie schnell einem die Kondition und die Finessen der Technik abhanden kommen können. Das Abseilen kommt meinem Gusto wieder sehr entgegen.
In der Wirtschaft Hintere Schmiedematt tischt uns zum Abschluss dieses Sonntags eine blau-weiss-karierte Schürze ein währschaftes Abendessen auf. Fliegen jagen sich durch die Wirtsstube, vor dem Fenster weiden die Fohlen, die hier sommers beheimatet werden. Meine Beine sind schwer, der Kopf leer, die Seele baumelt. Wir sind ganz zufrieden mit uns und der Welt.