Extremer Bergsport heute mit extrem starken Aufnahmen: Damit geht’s voll hinauf ins neue Berg(buch)jahr.
«WAS TUE ICH EIGENTLICH HIER?», scheint sich Renan Ozturk zu fragen, als er am Morgen des zehnten Tages der Expedition seine luftige, 5800 Meter hoch gelegene Behausung öffnet. Das am Vorabend bei stürmischem Wetter errichtete Camp 4 befindet sich in der Nordwestwand des Meru-Mittelgipfels (6310 m) im Garwhal-Massiv des indischen Himalaja. Im Oktober 2011 gelingt den US-amerikanischen Alpinisten Conrad Anker, Jimmy Chin und Renan Ozturk eine neue Route; sie wird Shark’s Fin („Haiflosse“) genannt. Ein Beweis dafür – so es denn einen braucht –, dass die Fotografen dieses Bildbands zum grössten Teil selbst begeisterte Abenteurer sind.
Jimmy Chin ist einer der siebzehn Fotografen des ebenso grossartigen wie –formatigen Bildbandes „Spektakuläre Bergwelten“. Herausgeber, Textautor und Fotograf Guillaume Vallot hat für sieben Kapitel, vom Einstieg über Fels und Eis bis zum Abheben in die Luft, 93 Fotos ausgewählt, wovon knapp die Hälfte doppelseitig abgebildet sind. Atemberaubende Fotos von bergsportlichen Aktivitäten auf der ganzen Welt. Hochtouren und Höhenbergsteigen, Eis- und Felsklettern, Steilabfahrten und Gleitschirmflüge, Base Jumping und Slacklining – immer eingefangen zu einem ganz besonderen Zeitpunkt an einem richtigen und wichtigen Ort. Nun gekonnt in Szene und auf 160 Seiten gesetzt und mit genauen und ausführlichen Legenden versehen. Damit wir Stubenhocker und Vielleicht-Höseler noch mehr feuchte Hände und weiche Knie kriegen, wenn wir den Extremskifahrer Cody Townsend sehen, wie er gleich einen knapp skibreiten Riss in den Chugach Mountains an der Westküste Alaskas durchfahren wird. Nach dem Bravourstück, das eher nach freiem Fall als nach Skifahren aussieht, meinte Cody: „Noch nie im Leben habe ich ein so furchterregendes Ding durchgezogen.“
Das ist ja genau das, was gute Bergpublikationen ausmacht: Wir können mitkurven und mitklettern, mitjauchzen und mitjammern, mitfiebern und mitfrieren, ohne dass die Finger oder Zehen gefühllos werden, um nur einen Berührungspunkt weiter auszudrücken. Guillaume Vallot nimmt uns mit seinem spektakulären Bildband mit auf eine solche Reise in die Berge.
Und ich selbst freue mich, Euch fürderhin mit „Ankers Buch der Woche“ auf bergpublizistische Ausflüge mitzunehmen. Vom Mont Vully am Murtensee (seine Welse können es nicht ganz mit Haien aufnehmen…) bis auf die höchsten und hintersten Gipfel der Welt.
Guillaume Vallot: Spektakuläre Bergwelten. AS Verlag, Zürich 2018, Fr. 65.-