Spinnweben und alte Weiber

Normalerweise tue ich mich schwer mit dem Ausdruck ‚Weiber’. Steht er aber im Zusammenhang mit dem ausklingenden Sommer, kann ich mich bestens damit anfreunden. Der Altweibersommer ist da. © Annette Frommherz

Als warmes Ausklingen des Sommers wird der Altweibersommer bezeichnet, als einen ‚Zeitabschnitt gleichmässiger Witterung im Spätjahr’, wie uns Wikipedia etwas trocken zu erklären versucht. Dabei hängt der Wortteil ‚Weiber’ gar nicht wirklich mit uns Frauen zusammen, sondern leitet sich ab von Spinnfäden, mit denen eine Spinnenart im Herbst durch die Luft segelt. Mit ‚weiben’ wurde früher das Knüpfen der Spinnweben bezeichnet. Spinnweben nennt man ja auch Liebfrauenhaar, was um einiges lieblicher daherkommt. Damit ertrage ich die herbstlichen Spinnenweben, die sich im Garten in meinem Gesicht verfangen, viel besser.

Aber item. Von Belehrendem hin zu den Tatsachen, zu den Bergen, die da stehen und sich herzlich wenig um Jahreszeiten und Spinnweben kümmern. Der Mattstock zum Beispiel. Wir können uns voll darauf verlassen, dass die Kletterrouten im Sektor der Südostwand-Platte noch vorhanden sind, und mit ihnen der Fels, der von Wasserrillen zerfressen ist und wenig wirklich handliche Griffe bietet. Klettern auf Reibung ist eine Angelegenheit, auf die ich mich stets aufs Neue einstellen muss. Ein ausgezeichnetes mentales Training: sich bestätigen zu lassen, dass der Kletterschuh auf dem glatten Fels hält. Er hält, obwohl ich es auch diesmal nicht glauben wollte. Eine Erkenntnis, die sich wiederholt, jedenfalls bei mir, und mich einmal mehr in Staunen versetzt.

Die späte Sommersonne heizt gehörig ein. Bergdohlen umkreisen uns mit höhnischem Krächzen, weshalb wir nicht einfach fliegen, anstatt uns ächzend den Fels hinauf zu mühen. Ich würdige sie keines Blickes. Auf dem Gipfel, nach der fünften Seillänge, setzen wir uns auf die Felsblöcke und sichten all die Bergherrlichkeiten um uns: im Rücken der Federispitz und der Speer, vor uns der Gulmen und die Gipfelreihen der Churfirsten, neben uns der Mürtschenstock. Von den unzähligen weiteren Mächtigen in der Ferne ganz zu schweigen.
Unter uns ruht sonntäglich der Walensee und trübt kein Wässerchen. Ein Ausflugsschiff muss es sein, das sich auf dieser Pfütze wie ein unbedeutend kleines, weisses Objekt vorwärtsbewegt. Die Welt ist winzig, so von oben betrachtet, und damit unwichtig. Diesen Gedanken nehme ich mit nach unten, als wir uns wie Spinnen an Fäden über die Felsenplatten abseilen.

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