Sturz

Dieser Sturz wird nicht in die Alpine Literatur eingehen, wie die legendären Stürze von Geoffrey Winthrop Young, Albert Heim oder Eugen Guido Lammer, die Geschichte gemacht haben. Allerdings werde ich mich auch nicht für ein so genanntes Sturztraining anmelden, sondern warten, bis die Hitze vorüber ist, bevor ich wieder einsteige.

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Es ist zu heiss. Der Tritt abschüssig, ich klettere fahrig nach der Schlüsselstelle, rutsche rechts und weg der Fuss. Ein Gefühl wie im Lift. Oder vielleicht Bungee-Jumping, aber das kenne ich nicht. Meine Tochter fängt mich auf, gekonnt. Es ist ja nicht das erste Mal, dass ich ins Seil falle. Auf dieser Route habe ich schon fast jeden Haken geprüft. Ausser die ersten beiden, das wäre dann nicht so gut, Bodensturzgefahr. Auch das kenne ich, heute trage ich zum Glück keinen Kratzer davon.
Eigenartig: Gestern habe ich hier einen Text von Geoffrey Winthrop Young gespeichert, einen Auszug aus einer der eindrücklichsten und minutiösesten Sturzschilderungen der Alpinen Literatur. Auf dem Abstieg vom Zinalrothorn voll ins steife Hanfseil, also keine dynamische Sicherung und kein Haken, nichts, doch der berühmte Bergführer Josef Knubel hielt den weiten Fall. Wie, das ist eines der Wunder, von denen die Pioniere so viele vollbrachten und für die wir sie noch heute bewundern. Mein Sturz ins weiche Polyamidseil in einen Klebehaken mit Expressschlinge, dynamisch gehalten von meiner Tochter mit einem modernen Bremsgerät, wird keine Geschichte machen. Nichtmal Literatur.
Übrigens gibt es in der alpinen Literatur eine ganze Reihe eindrücklicher Sturzgeschichten – verfasst von Kletterern, die überlebten. Reinhold Messner hat sie in seinem Buch «Grenzbereich Todeszone» gesammelt. Zum Beispiel den legendären Sturz des Geologen Albert Heim am Säntis. Oder den Sturz des Bergsteigers und Schriftstellers Eugen Guido Lammer im Sommer 1887 am Matterhorn. In der atemberaubenden Schilderung taucht der Satz auf: «Ich war entschlossen, das Höchste zu wagen, mein Leben wieder und wieder auf Messers Schneide zu setzen.» In der Matterhorn-Westwand überlebte er einen Sturz von 200 Metern.
Nun, ich habe heute mein Leben nicht auf Messers Schneide gesetzt, doch man weiss ja nie, kein Sturz ist harmlos. (Einmal brach ich bei solcher Gelegenheit einen Fuss.) Trotzdem werde ich mich nicht fürs so genannte Sturztraining anmelden. Im letzten Bulletin der BGA (Bergsteigergruppe Alpina) gabs dazu eine Abhandlung über ein Dutzend Seiten. Ehrlich gesagt, es kam mir ein bisschen theoretisch und kompliziert vor. Aber vielleicht hilfts ja, wenn man genügend Geduld aufbringt, wer weiss? Ein Wort ist mir hängen geblieben: «Sensorarm». Mit der Hand am Seil des Vorsteigenden erfühlt der Sichernde sozusagen, wenn über ihm was abgeht, und leitet dann die Dynamik des Bremsvorgangs ein. So etwa habe ich das verstanden, und meine Tochter hat das genau so gemacht, intuitiv und ohne die Theorie zu kennen. Ich fiel also weich, legte gleich wieder los und schaffte den Rest der Route zügig. Das nächste Mal steige ich erst wieder ein, wenn die grosse Hitze vorüber ist.

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