Vom endlosen Schreibtisch hinweg lockte mich ein Bild aus einem Buch das ich las: Cerro Fitz Roy, Supercouloir, eine dünne Spur Eis im Grund einer fallenden Schlucht. -Es Zieht mich hinaus in den Wald. -Hinaufkämpfen, biwakieren, abseilen im Schneesturm, tagelang nicht schlafen, nicht essen, nicht… Und ich: Am Schreibtisch. Warum bin ich nicht so wild?
Draussen schien die Sonne matt, leichter Föhn. Da stand ich auf, ging zur Abstellkammer, zog Steigeisen und ein altes Eisgerät hervor, schob beides in den Rucksack und zog, schwere Schuhe an den Füssen, in den Winternachmittag hinaus. Hinter dem Dorf stapfte ich in den Wald hinauf und begann bald zu schwitzen und in den 30 Zentimeter tiefen Schnee einzubrechen.
Oberhalb von Berschis gibt es zwei steile Felsrippen im Wald, die linke trägt im unteren Teil ein Kreuz mit Gipfelbuch, die rechte bildet eine überhängende Wand zur linken hin. Zusammen schliessen sie ein Couloir ein das dreihundert Meter weiter oben von einem Fussweg gequert wird und das mich heute anzieht wie ein Sog der Freiheit. Ehemals nasser Lawinenschnee hinterliess eine dünne Spur kugeligen Eises über das ich immer schmäler steige und bald die Waden deutlich spüre, stehen bleiben muss, atmen muss, immer wieder, immer öfter, immer besser fühlt sich die kleine, immer rascher nahende Freiheit an.
Eine zweite Lawine hatte sich über einer Steilstufe in die erste gefressen und ein kleines Halbrund zum Steigen hinterlassen. Die Steigeisen knirschten im Eis, ein Vogel sang im Geäst. Meine Spur wurde steiler, schwang sich um Steilstufen, mal links mal rechts, wurde dünner und nochmal schmäler, und verlor sich auf einmal ganz zwischen Waldboden. Zwei Meter griffen die Zacken in erdige Blätter, dann hing ein Holz daran wie stollender Schnee, ich zog es ab, dann setzte die Spur wieder ein, dünn, steil, setzte wieder aus. Von oben rollten kleine Schneekugeln und von Zeit zu Zeit ein Steinchen mit einem Gämsenpfiff.
Dann bin ich, schwer atmend, am Fussweg der nicht zu sehen ist aber unter der abschliessenden Felswand, unter dem steilen Schnee nach rechts hinaus zieht. Ich weiss es. Da ist das kurze, ausgesetzte Band über das er führt, heute nur eine schräge Schneefläche zwischen dunklem, lotrechtem Stein. Jetzt ist es der Schnee der unter den Stegeisen stollt und der Stollen der Rutscht, über einer harten, ebenso schrägen älteren Schneeschicht. Vorsichtig taste ich mich die Aussicht entlang. Gerade war ich heute zu ihr aufgestiegen, direkt. Wie der Sog, wie der Wind.
Nach zwanzig Metern war ich am Ende des Bandes, zog den Rucksack ab, ass den Riegel, bückte mich, die Stegeisen auszuziehen. Vor mir stak der Eispickel im Schnee. Es fühlte sich gut an. Und ein wenig wild. Jetzt hörte ich die Autobahn. Im Bogen, den der Fussweg nimmt, stieg ich durch den Bergwald ab.