Tagebuch der Anden

Eine Geschichte wie ein antikes Drama. Die grosse Liebe, die wilden Abenteuer in fernen Welten, Berg und Leidenschaft, das tragische Ende. Das ist die Geschichte von Dorly und Frédéric Marmillod-Eisenhut, erzählt in spannenden Texten und phantastischen Fotos. Ein Geschenk fürs Leben.

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„Nie wird der Cerro Alto de los Leones seine Jungfräulichkeit verlieren, der Zugang zu seinem Gipfel scheint mir jenseits des Möglichen zu liegen.“ Friedrich Reichert, 1929.
„Wir sind auf dem jungfräulichen Gipfel – was für ein Gefühl!“ Dorly Marmillod, Tagebuch-Eintrag vom 11.4.1939 zur Erstbesteigung des Cerro Alto de los Leones (5445 m) in den chilenischen Anden.

So kann man sich täuschen. In vielerlei Hinsicht. Gestern und jetzt. Einst der Deutsche Friedrich Reichert, der zusammen mit dem Schweizer Robert Helbling und dem einheimischen  Maultiertreiber Damasio Beíza am 17. Januar 1911 erstmals den Cerro Juncal (5965 m) bestiegen hatte. Der über den benachbarten Cerro Alto de los Leones behauptete, dass er unmöglich zu besteigen sei. Und heute wir, die wir die Geschichte des (schweizerischen) Alpinismus zu kennen glauben, diejenige in der Heimat sowieso, aber auch in der Ferne: Erstbesteigung des Aconcagua und des Dhaulagiri, Soloerstdurchsteigung der Annapurna-Südwand. Doch die Erstbesteigungen von Dorly und Frédéric Marmillod in Südamerika von 1938 bis 1959 – Pico Simons (5660 m), Pico del Castillo (5123 m) oder Nevado Rajuntay (5477 m), um nur drei zu nennen: noch nie gehört. Und dass das Bergsteiger-Paar zusammen mit zwei argentinischen Freunden am 23. Januar 1953 eine neue Route am Aconcagua eröffnete und dass Dorly als erste Frau auf seinem Südgipfel (6930 m) stand: Das stand vielleicht mal in einer Fussnote. Doch nun kann man in einem Bildband das abenteuerliche Berg- und Familienleben von Madame et Monsieur Marmillod miterleben.

Als die 1914 geborene Dorly Eisenhut neun Jahre alt war, zog die Familie von Trogen nach Montreux. Am Genfersee lernte sie mit Sechzehn den 1909 in Naters bei Brig geborenen Frédéric Marmillod kennen. 1934 wurde geheiratet, von 1938 bis 1959 lebten die beiden in Südamerika, wo Frédy für Sandoz Farmacéutica arbeitete. Vier Töchter kamen in vier verschiedenen Ländern auf die Welt. Aber weder familiäre noch berufliche Plichten konnte das Ehepaar Marmillod davon abhalten, auf zahlreichen Expeditionen die hohen und damals oft noch kaum bekannten Gipfel der Anden zu erforschen und zu besteigen – ohne Bergführer und ohne moderne Expeditionslogistik. Dabei führte Dorly ein Tagebuch, berichtete in langen Briefen von ihren Abenteuern (und vom Leben sonst) nach Hause; Frédy schrieb ein paar Artikel für die SAC-Zeitschrift „Die Alpen“ und für die renommierte Publikation „Berge der Welt“.

Diese Texte bilden die Basis für das Buch, das Marc Turrel über Dorly und Frédéric Marmillod verfasst hat und das seit ein paar Tagen in der stimmigen Übersetzung von Verena Tunger auf Deutsch vorliegt. Und das natürlich bestens passt zum Internationalen Tag der Berge, der seit 2002 am 11. Dezember gefeiert wird. Es ist ein ganz schöner und reicher Bildband, der uns mit spannenden Texten und grossartigen, meist schwarz-weissen Fotos in die Bergwelt der Cordillera und zur Familie Marmillod führt. Da lernen wir eine Frau und ein Paar, eine Art des Bergsteigens und eine Gipfelwelt kennen, von dem allen wir bisher kaum etwas wussten. Bewegend, berührend und den Horizont erweiternd.

Am 3. März 1943 steht Dorly Marmillod als erste Frau auf dem Pico Cristóbal Colón (5775 m), dem Gipfel, der seinen Namen zu Ehren von Christoph Kolumbus erhielt. Frédéric und Dorly gelingt die zweite Besteigung dieses Gipfels sowie die erste Traversierung vom Pico Simón Bolívar (5775 m) zum Pico Cristóbal Colón. Stark das Foto, wie sie hemdsärmlig dort oben steht, den Pickel vor sich in den Schnee gesteckt, ein paar Seilschlaufen am linken Arm, mit dem rechten hält sie die Mütze und winkt Frédy zu. Uns auch. Dorly über die mehrwöchige Expedition in der Sierra Nevada de Santa Marta: „Es gab Eis, Schnee, Felsen, unvergessliche zeitgleiche Sonnenauf- und Monduntergänge, nicht enden wollende Fussmärsche mit idiotisch schweren Rucksäcken, rasend schnelle Ausflüge auf die Gipfel.“

Am 27. September 1978 gerieten Dorly und Frédéric Marmillod beim Abstieg von der Dent d’Hérens in den Walliser Alpen in einen gnadenlosen Wettersturz. Nach vier Tagen wurden sie von einer Rettungskolonne gefunden, erfroren Seite an Seite.

Marc Turrel: Tagebuch der Anden – Frédéric und Dorly Marmillod, 1938–1959. Mit je einem Vorwort von Alt-Bundesrat Pascal Couchepin und Dorothée Fierz, ehemalige Regierungsrätin des Kantons Zürich. AS Verlag, Zürich 2016, Fr 58.-

Zum internationalen Tag der Berge am Sonntag, 11. Dezember 2016, veranstaltet das Alpine Museum in Bern eine sogenannte Pecha Kucha zum Thema „Viechereien – Mensch und Tier am Berg“. Beginn der Veranstaltung mit 10 Vortragenden und der Musik von Baltasar Streif ist 15 Uhr.

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