Am Ort einer dramatischen Rettung. Klettern und erinnern.
Kein Lüftchen weht in diesem Tempel des Windes. Wir sind allein, nur das Zwitschern der Vögel in den Büschen begleitet uns. Gelegentlich Stimmen von Kletterern von der andern Talseite. Dort liegt Schatten, wir klettern in der prallen Sonne auf rauem Fels, zum Glück nicht allzu schwer. Seltsam, wie einem eine Route in Muskeln und Gehirn übergeht, auch wenn man sie über zwanzig Jahre nicht mehr gestiegen ist. Wir fotografieren. Die Route neben uns, 6b, mit Namen «M’ impicco il pacco» – was immer das heisst. Ich häng’ mir das Bündel an vielleicht? Dann den luftigen Quergang an zum Teil durchgescheuerten Fixseilen aus der Höhle um einen Felspfeiler herum. Erinnerungen an die dramatische Rettungsaktion vom 1. Januar 1992. http://bergliteratur.ch/falesia-del-silenzio/
Vor einigen Monaten haben wir per Zufall den Kletterer kennengelernt, der damals hier lag, schwer verletzt, die ganzen zwanzig Meter der Route heruntergestürzt und auf den Weg geprallt, genau an der Stelle, an der es wenig Steine hat. Er hat überlebt, er ist weiter geklettert, schwere Routen, hat Familie, drei Kinder und alle klettern begeistert. Ein Glücksfall der besonderen Art. Ich erinnere mich noch, wie während der chaotischen stundenlangen Rettung ein Arzt und Kletterer sagte: «Der Mann könnte jetzt gleich sterben».
Wir haben die Familie besucht, hatten einen sehr schönen Abend zusammen, Erinnerungen ausgetauscht. Wie wir die Rettung mitorganisierten, wie der Verletzte den Transport durchs felsige Gelände, durch die Nacht erlebte und die Woche im Ospedale Santa Corona in Pietra Ligure.
Die Route mit dem seltsamen Namen scheint uns dann doch zu schwer bei der Hitze, ich erinnere mich an einen kniffligen Ausstieg. Ein Andermal vielleicht. Wir wandern weiter, den Felsen der Falesia del Silenzio entlang, klettern da und dort noch eine Route in der grossen Stille dieses verwunschenen Tales.