The Last Great Mountain

Zwei Bücher zum dritthöchsten Gipfel der Welt. Ein altes von einer Frau und ein neues von einem Mann. Sie ergänzen sich bestens.

Khunza, den 22. April [1930]
Liebe Kinder!
Der 20. war wohl der anstrengendste Tag meines Lebens (ausgenommen die Tage, an denen Ihr geboren wurdet, und meine Operationen). Wir brachen ganz zeitig auf, ich ging von vornherein sehr langsam, weil ich mir schon dachte, was für ein Vergnügen mir bevorstand, – zunächst vier Stunden lang ganz steil in die Höhe, von 4200 Meter an jeder Schritt eine Qual. Dann zwei Stunden lang immer rauf und runter; ich hatte das Gefühl, über siebzehn Pässe gegangen zu sein, es sollen aber nur drei gewesen sein. Dann endlich verkündete Bara Sahb (so wird Papa von den Trägern genannt; es heiβt: der grosse Herr, der Kommandant), nun ginge es abwärts, dem neuen Zeltplatz zu. Groβe Freude allerseits; denn auch für die Kulis war es eine Mordsschinderei gewesen, dauernd auf und ab im Schnee zu stampfen! Also los, hinunter! Der erste Schritt ging noch, aber dann brach man ein, knietief, bauchtief!

So beginnt der Brief, den Hettie Dyhrenfurth (1892–1972) ihren drei Kindern zu Hause in der Schweiz schrieb, auf der von ihrem Mann Günter Oskar geleiteten Internationalen Himalaya Expedition von 1930 zum Kangchendzönga (8586 m), dem dritthöchsten Berg der Welt. Aber Harriet Pauline Dyhrenfurth, geborene Heymann, war mehr als eine Begleiterin des Leiters: Sie hatte die Expedition nicht nur logistisch vorbereitet, sondern war auch für die Logistik vor Ort verantwortlich. Mehr noch: Hettie Dyhrenfurth schrieb ein sehr lesenswertes Buch über die erfolgreiche Expedition, die am Kangchendzönga wegen schlechter Wetter- und Schneeverhältnissen zwar scheiterte, aber mit der Erstbesteigung von drei anderen Sechs- und Siebentausendern dennoch ein grosser Erfolg wurde. Das Buch heisst „Memshab im Himalaya“ und zeigt die Autorin auf dem Cover mit Skistöcken und Ski vor mächtigen Schneegipfeln; auf dem ersten Foto im Bildteil sehen wir sie als sportliche Tennisspielerin. Ja, die Hettie hielt den Schläger und ihr Leben im Griff. 1934 war sie nochmals die Co-Leiterin einer Dyhrenfurth-Expedition; mit der Besteigung des 7315 Meter hohen Westgipfels des Sia Kangri stellte sie einen neuen Frauenhöhenrekord auf, der zwei Jahrzehnte galt.

Dem deutsch-schweizerischen Powerpaar (1936 erhielten die Dyhrenfurths den Prix olympique d’alpinisme bei den Olympischen Sommerspielen) begegnete ich wieder mal in einem neuen Buch zur Besteigungsgeschichte des Kangchendzönga: „The Last Great Mountain“ von Mick Conefrey, einem international anerkannten Filmemacher und Autor; er hat mehrere BBC-Dokumentarfilme über Erforschung und Bergsteigen produziert. Das neue Buch ist der letzte Teil von Mick Conefreys Höhen-Trilogie; die beiden anderen befassen sich mit dem Everest und dem K2. Auf der Grundlage von Interviews, Tagebüchern und unveröffentlichten Berichten beginnt Mick Conefrey seine Geschichte 1905 mit dem ersten, katastrophalen Versuch eines Teams unter der Leitung von Aleister Crowley und Jules Jacot Guillarmod, erforscht die dramatischen Expeditionen der 1920er und 1930er Jahre und bringt das Ganze mit der Erst- und Zweitbesteigung des Kangchendzönga durch Joe Brown und George Band am 25. Mai 1955 und Norman Hardie und Tony Streather am 26. Mai zum Höhepunkt. Conefrey schliesst seine fundierte Trilogie mit diesem Satz: „If Kangchenjunga has not become the commercial escalator that Everest is today, perhaps its relative anonymity is not such a bad thing.“ Wie wahr!

Hettie Dyhrenfurth: Memsahb im Himalaja. Verlag Deutsche Buchwerkstätten, Leipzig 1931. Antiquarisch auf www.zvab.com.

Mick Conefrey: The Last Great Mountain. The First Ascent of Kangchenjunga. Eigenverlag, Oxford 2020, Fr. 32.-

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