Speedklettern vor 146 Jahren – und heute. Und die Erstbesteigung des Gross Grünhorns, das durch den tragischen Absturz von Erhard Loretan vergangene Woche Schlagzeilen gemacht hat.

„Nun begann eine Wettkletterei über Felsen hinauf, über Couloirs hinweg, um Felsthürme herum, welche 2 1/2 Stunden dauerte und wo jede Gesellschaft ihre besonderen Wege einschlug. Da erreichten Fellenberg und seine Mannen der Grat, rannten im Laufschritt nach den letzten von der Gipfelgwächte überdeckten Felsen, schritten über diese und den Schneekamm einige hundert Schritte östlich hinweg und erreichten um 10 Uhr 40 den noch einsamen Gipfel. Aber 10 Minuten später pflanzte die zweite Gesellschaft ihr ‚Tanngrotzli‘ neben ihre eingesteckte Fahne auf dem Gipfel.“
Etwas weniger als zweieinhalb Stunden, nämlich genau 2 Stunden und 28 Minuten, brauchte der junge Urner Bergführer Daniel Arnold am 20. April 2011, um auf der Heckmair-Route durch die 1650 Meter hohe Eigernordwand zu sprinten. Er war damit ziemlich unbeabsichtigt, wie er sagte, 19 Minuten schneller als der Berner Ueli Steck, der am 13. Februar 2008 den bisherigen Speedrekord von 2 Stunden 47 Minuten aufgestellt hatte. Und wann schafft ein Alpinist die Eigerwand unter zwei Stunden? Da kann man sich schon fragen, ob solche Bergrennen zum Bergsteigen gehören. Die Antwort lautet ganz einfach ja.
Das obige Zitat stammt aus einem Bergbuch, das vielleicht schon etwas Patina angesetzt hat, obwohl man es immer wieder aufschlägt, weil es zur Grundausrüstung eines Alpinhistorikers gehört. Gottlieb Studer: Ueber Eis und Schnee. Die höchsten Gipfel der Schweiz und die Geschichte ihrer Besteigung. I. Abtheilung: Berner Alpen. J. Dalp’sche Buch- & Kunsthandlung, Bern 1869, S.255. Die zweite, umgearbeitete und ergänzte Auflage erschien 1896.
Die Wettkletterei fand am 31. Juli 1865 statt, bei der Erstbesteigung des Lauterbrunnen Breithorns (3780 m) von der Wetterlücke über den Westgrat. Die Sieger sind der Stadtberner Edmund von Fellenberg, seine Grindelwalder Führer Peter Egger, Peter Inäbnit und Peter Michel sowie Johann Bischoff aus Lauterbrunnen, mit dem zweiten Platz Vorlieb nehmen mussten die Engländer James John Hornby, Thomas Henry Philpott mit den Führern Christian Almer und Christian Lauener, ebenfalls aus Grindelwald. Für das dritte Jahrbuch des Schweizer Alpen-Clubs von 1866 verfasste Fellenberg einen beherzten Bericht über die „Wettkletterei“ auf dieses Breithorn (der Begriff stammt von ihm, und auch das bei Bergtourenberichten doch eher selten gebrauchte Wort „Laufschritt“).
Die Erstbesteigung des formschönen Gipfels, den Ferdinand Hodler auf einem seiner berühmteren Gemälde verewigt hat, wurde gemeinsam gefeiert. Fellenberg zum Zusammentreffen der beiden Seilschaften zuoberst: „Nun wurde natürlich auf einem so erhabenen Punkte Bekanntschaft gemacht und die ‚joined parties‘ feierten mit Champagner und Bordeaux die Unterwerfung des Breithorns.“
Ob Ueli Steck und Daniel Arnold auf dem Eigergipfel auch so auf ihre Rekordzeiten anstiessen?
Wer die ganze Wettkletterei am Lauterbrunnen Breithorn und die eine Woche später erfolgte Erstbesteigung des Gross Grünhorns durch Fellenberg & Co. mitverfolgen will, greift am besten zu diesem unter www.zvab.com gut erhältlichen Werk:
Edmund von Fellenberg: Der Ruf der Berge. Die Erschließung der Berner Hochalpen. Gesammelt und mit Lebensbild versehen von Ernst Jenny. Eugen Rentsch Verlag, Erlenbach-Zürich 1925.
Vor einigen Jahren biwakierten wir am Blauseeli. Am Abend lasen wir laut von Fellenbergs Saga der Erstbestürmung des Breithorns vor als Einstimmung auf unsere Tour aufs Breithorn am nächsten Tag.
Wie geheimnisvoll muss damals die noch weitgehend unbekannte Bergwelt erschienen sein – diese Stimmung können wir uns heute nur noch schwer einfangen.