Über alle Berge

Wo Berge sich erheben. Da war einmal die Alpenwelt. Heut wachsen sie überall aus dem Boden. Die einen aus Trümmern, die andern aus Abfall und die hier besprochenen aus dem Abraum einstiger Zechen im Ruhrgebiet. Dass es da auch Klettersteige, Wanderwege, Skipisten und Kletterwände gibt, ist ja fast selbstverständlich. Und Wiesen. Und Wälder. Und und. Und Kletterführer. Schuttberg heil!

Über alle Berge

„Mitten im Ruhrgebiet liegt ein Gebirge, das es vor einigen Jahrzehnten noch gar nicht gab. Ein ganz und gar künstliches Gebirge, das nicht etwa zur Gaudi angehäuft wurde. Sondern als Abfall in Kauf genommen werden musste. Aber da der Mensch im Ruhrgebiet es gewöhnt ist, irgendwie immer ,das Beste draus zu machen‘, hat er sich seine Berge ganz schick eingerichtet. Aus den unansehnlichen Halden, Deponien und Kippen sind attraktive Bergwelten geworden.“

Heisst es in der Einleitung eines ziemlich ungewöhnlichen Bergbuchs, die mit dem bergliterarisch geläufigen Titel „Der Berg ruft“ überschrieben ist. Aber für einmal rufen nicht Rigi, Jungfrau und Matterhorn, sondern Gotthelf, Haniel und Kissinger Höhe, aber auch Deusenberg, Rungenberg und Halde Scholven. Letztere ist der höchste Berg im Ruhrgebiet: 202 Meter über Meer. Der Gipfel der Halde Haniel liegt auf bescheidenen 160 m, überragt aber die Umgebung mit 95 Metern und gehört somit zu den höchsten dieser künstlichen angehäuften Berge in der grössten Agglomeration Deutschlands.

Halden eben. Da dort der Bergbau, mehr oder weniger am Boden liegt, also kaum mehr Kohle aus dem Untergrund hervorgeholt und weiterverarbeitet wird, müssen auch nicht mehr Halden angehäuft werden. Aus den schwarzen Abraumhaufen der einst blühenden Montanindustrie sind grüne Hügel mit blühenden Wiesen und Wäldern geworden, durchzogen von Wanderwegen und Biketrails, Rutschbahnen und Skulpturenanlagen. An der Halde Prosperstrasse wurde die längste Skihalle der Welt gebaut: Die gedeckte Kunstschneepiste ist gut 600 Meter lang und knapp 100 Meter hoch – da lässt sich bei -4° bestens carven. Ein Förderband bringt die Skifahrer und Snowboarder zurück an den Start im Alpincenter von Bottrop. Im nebenanliegenden Fussgängertunnel hängt gar das Schild „Achtung: Hochalpines Gelände.“

Ganz so hochalpin sind die Alpen des Ruhrgebiets natürlich nicht. Aber aufgepasst: Hier befindet sich der grösste Outdoor-Klettergarten von Norddeutschland mit mehr als 400 Routen bis zum 9. Grad. Drytooling ist ebenso möglich wie Klettersteigen; der Steig heisst „Via ferrata Monte Thysso“. Eigentlich passt ja eine Route mit Drahtseilen und Eisenbügeln nirgends besser hin als in diese Region, die einst das schwerindustrielle Zentrum Europas war. Die Anlagen sind geblieben, lärmen jedoch nicht mehr, sondern sind nun, wie zum Beispiel die Zeche Zollverein, zu Orten für vielfältige Ausstellungen – und zu Museen ihrer selbst – umfunktioniert worden. Die Halden ebenfalls.

„Kommen Sie mit auf eine unvergleichliche Bergtour!“ Fordert Wolfgang Berke in der Einleitung seines Führers „Über alle Berge“. Warum eigentlich nicht?

Wolfgang Berke: Über alle Berge. Der definitive Haldenführer Ruhrgebiet. Mit Fotos von Manfred Vollmer und Hans Blossey. Klartext Verlag, Essen 2011. € 13.95.
Regionalverband Ruhr RVR: Gipfelstürmen in der Metropole Ruhr, Essen 2012.
Axel Klemmer: Ruhrgebiet – unterwegs im „Revier“, in: Panorama. Das Magazin des Deutschen Alpenvereins, 3/2015. de.wikipedia.org/wiki/Halden_im_Ruhrgebiet

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